24.06.2021 | Fachartikel

Personalauswahl in der Steuerberatung: Berufseinsteiger*innen & Fachkräfte richtig auswählen

DKB

Von Dipl.-Kfm. Jörg de Wall, Steuerfachangestellter und Personalberater

Im Fachartikel „Personalauswahl in der Steuerberatung: Bauchgefühl oder Wissenschaft“ vom 27.05.2021 wurde das Thema der beruflichen Eignungsdiagnostik an der Schnittstelle zwischen anerkannten wissenschaftlichen Ergebnissen und der Praxis allgemein dargestellt. Der nachfolgende Beitrag erläutert die dargestellten Methoden und Verfahren konkret auf die Anwendbarkeit und die Umsetzungsmöglichkeiten bei der Auswahl von Berufseinsteiger*innen & Fachkräften in der Branche der Steuerberatung.

„Praxis ohne Theorie leistet immer noch mehr
als Theorie ohne Praxis“ – oder?

Dieses Zitat des römischen Lehrers der Rhetorik Quintilian ist sicherlich in vielen Lebensbereichen unsere Maxime, handeln wir doch vielfach erfahrungsbasiert, bevor wir uns mit grauer Theorie auseinandersetzen. Doch wie, welche und wie viel Theorie sollte eingesetzt werden, um hinlänglich präzise Vorhersagen zum künftigen Berufserfolg von Berufseinsteiger*innen und Fachkräften zu erhalten? Und ist unter ökonomischen Gesichtspunkten der Einsatz von Eignungsdiagnostik gegenüber dem Risiko möglicher Fehlbesetzungen vorteilhaft?

Geeignete Berufseinsteiger*innen identifizieren

Foto: Dipl-Kfm. Jörg de Wall

Wie in Teil 1 dieser Artikelreihe ausgeführt ist die Erstellung eines Anforderungsprofils ein relevantes Instrument und auch erster Schritt für die Auswahl von Berufseinsteiger*innen. Diese Kandidat*innen verfügen über keinerlei fachlich relevante Berufshistorie, haben jedoch je nach Bildungsabschluss unterschiedliche theoretische Kenntnisse. Insofern bietet die Aufnahme und Bewertung nichtfachlicher Eigenschaften die einzige Möglichkeit, die Passfähigkeit zum Anforderungsprofil zu ermitteln. Unternehmens- und Organisationskultur sowie Vorgesetzen-, Kollegen- und Mandantenstruktur sind regelmäßig einzigartig, der Grad der Übereinstimmung (Cultural Fit) sollte hoch sein, damit sich Mitarbeiter*innen im beruflichen Umfeld möglichst authentisch verhalten können, um erfolgreich zu sein.

Ein Anforderungsprofil ließe sich exemplarisch an den ausgewählten Merkmalen Gewissenhaftigkeit (z.B. mit den Facetten Leistungsstreben und Umsicht & Sorgfalt) und Extraversion (z.B. mit den Facetten Heiterkeit, Freundlichkeit) wie folgt darstellen:

Tabelle: Anforderungsprofl nach Merkmalen

Während die Notwendigkeit zur gewissenhaften Arbeitsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Steuerberatungsbranche gleichermaßen ausgeprägt ist, unterscheidet sich die Extraversion in den Organisationen vermutlich deutlich und kann z.B. aufgrund eines mehr oder weniger intensiven Mandantenkontaktes unterschiedlich bewertet werden. In der Regel wird bei der Erstellung eines Anforderungsprofils eine Bandbreite definiert, innerhalb derer die Fremdeinschätzung der Bewerber*innen liegen sollte.

Elemente der Vorauswahl

Typischerweise sind nach alter Lesart Anschreiben, Lebenslauf, Schul- und Universitätszeugnisse der Kandidat*innen und seit geraumer Zeit sicherlich auch der Auftritt in sozialen Medien und Netzwerken Elemente der Vorauswahl. Interessanterweise erlauben aus wissenschaftlicher Sicht weder die formale Gestaltung noch die Anschreiben Rückschlüsse auf Persönlichkeitseigenschaften oder Motivation. Anderes gilt für die Durchschnittsnoten von Schul- und Abschlusszeugnissen. Diese sind ein guter Prädiktor für die berufliche Leistung. Doch auch diese Aussage muss eingeordnet werden, da die Abiturnoten in den vergangenen zehn Jahren ausweislich der Statistik der Kultusministerkonferenz besser geworden sind und auch der Trend über die Jahrzehnte klar zeigt, dass an den Hochschulen und somit auch in den Ausbildungsberufen immer mehr Schulabsolventen mit besseren Noten ankommen.

Multimodulare Erfassung und Bewertung beruflicher Erfolgsfaktoren

Veränderungen in Branchen, Dynamik im wirtschaftlichen Umfeld und zunehmende Digitalisierung erfordern auf allen Ebenen der Unternehmen eine Professionalisierung, insbesondere bei der Auswahl von Mitarbeiter*innen. Nachfolgend werden die Methoden dargestellt, die bei richtiger Auswahl und Anwendung gegenüber erfahrungsbasierten Prozessen vorteilhafter sind.

Das Interview ist die am häufigsten eingesetzte Methode zur Personalauswahl. In der Praxis empfiehlt sich ein teilstrukturiertes Interview, um den Erzählfluss der Kandidat*innen zu fördern. Hierbei werden den Kandidat*innen vorher festgelegte offene Fragen gestellt, deren Beantwortung Rückschlüsse auf die im Anforderungsprofil festgelegten Eigenschaften zulassen. Um das Beispiel der Merkmale Gewissenhaftigkeit und Extraversion fortzuführen, wären folgende Fragen denkbar:

  • Wie finden sie es, wenn Vereinbarungen nicht eingehalten werden und wie reagieren sie darauf?
  • Wie gehen sie an neue Aufgaben heran?
  • Welche Fehler fallen Ihnen in Dokumenten auf?
  • Stellen Sie sich das Beisammensein in einer heiteren, fröhlichen Runde, z.B. im Freundes- oder Kollegenkreis vor. Beschreiben sie ihr Verhalten?
  • Wie verhalten sie sich, wenn Ihnen jemand Hilfe anbietet, obwohl Sie nach ihrer Ansicht keine Hilfe benötigen?

Der Kreativität ist bei der Festlegung der Fragen kaum eine Grenze gesetzt – wichtig ist, dass die Fragen und deren Beantwortung Rückschlüsse auf die Ausprägungen der festgelegten beruflich relevanten Merkmale zulassen.

Berufsbezogene Persönlichkeitstests erfreuen sich steigender Beliebtheit, wenngleich es hier eklatante Qualitätsunterschiede gibt – von der Küchenpsychologie bis zu wissenschaftlich fundierten Verfahren. Diese Tests werden landläufig als standardisierte diagnostische Verfahren definiert, mittels derer nichtkognitive Merkmale (z.B. Arbeitsverhalten, psychische Konstitution) im Hinblick auf berufsrelevante Eigenschaften erfasst werden. Die Verfahren sind ökonomisch (Tests dauern selten länger als 45 Minuten), bieten Ansatzpunkte, Selbst- und Fremdbilder unkompliziert miteinander abzugleichen und bieten transparentes Benchmarking mit Vergleichsgruppen und/oder Mitarbeiter*innen. Zusätzlich können die im Auswahlprozess generierten Persönlichkeitsprofile später zu Maßnahmen der Personalentwicklung einen sinnvollen Beitrag leisten.

Helfen Intelligenztests?

In einer Meta-Analyse konnte 2016 gezeigt werden, dass die Messung kognitiver Fähigkeiten im Ranking der besten eignungsdiagnostischen Verfahren weiterhin ungeschlagen ist! Dennoch ist Intelligenz ein kontrovers diskutiertes Eignungsmerkmal, insbesondere Intelligenztests rufen häufig emotionale (Abwehr-)Reaktionen hervor. Es lässt sich aber festhalten, dass kognitive Leistungstests für unterschiedliche Anwender- und Altersgruppen konzipiert wurden und z.B. geeignet sind, in einem sequenziellen Auswahlprozess eine ökonomische und treffsichere Vorselektion potenziell geeigneter Kandidaten durchzuführen. Die differenzierte Erfassung weiterer Facetten der Intelligenz auch im höheren Leistungsbereich kann im Anschluss mit zusätzlichen Tests erfolgen, um eine endgültige Auswahl zu treffen. In der Regel sind auch diese Testverfahren zwischenzeitlich online erhältlich.

Weiterhin bieten Präsentationen und Fallstudien eine sinnvolle Ergänzung zur Beurteilung des zukünftigen Erfolges im Rahmen von Auswahlprozessen. Von den Entscheidungsträger*innen lassen sich Sachverhalte z.B. aus dem Bereich des Steuerrechts und/oder des Rechnungswesens -zugeschnitten auf die fachliche Vorerfahrung der Kandidat*innen- leicht konstruieren. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse zu, z.B. auf fachliches Vorwissen, Bearbeitungsgeschwindigkeit, methodische Vorgehensweise, Sprachkompetenz, Selbstsicherheit, um nur einige Facetten zu nennen.

Abschließend ist zu den beschriebenen Methoden anzumerken, dass sie natürlich versuchen, Persönlichkeiten umfassend zu beschreiben. Dazu sollten sich die Personalentscheider*innen seriöser und valider Methoden bedienen. Hiermit wird dem berechtigten Interesse Rechnung getragen, für das Unternehmen und die fachliche Aufgabe passende Mitarbeiter*innen zu finden und eben auch zukünftige Mitarbeiter*innen vor beruflichen Fehlentscheidungen zu schützen, weil die unternehmenskulturelle, persönliche und fachliche Passung nicht ausreichend ist. Der Begriff der Gesinnungsschnüffelei ist hier nicht angebracht.

Fazit

„Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind.“

Dieses Immanuel Kant zugeschriebene Zitat bezeichnet die wechselseitige Beziehung von Theorie und Praxis. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren den Bereich des Recruitings und der Eignungsdiagnostik erheblich entmystifiziert. Seriöse Eignungsdiagnostik ist immer evidenzbasiert! Überschaubare externe Kosten wissenschaftlich valider eignungsdiagnostischer Tools bei geringem Zeitaufwand der Entscheidungsträger*innen bei der Durchführung sprechen für den Einsatz. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik scheint auch für die Branche der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung alternativlos. Zum einen trägt die Auswahl passfähiger Berufseinsteiger*innen und Fachkräfte zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität der Organisationen bei, zum anderen kann die Eignungsdiagnostik bereits zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses die Weichen für zukunftsweisende Personalentwicklung stellen. Transparenz in Personalauswahl und -entwicklung trägt grundsätzlich zu einem positiven Betriebsklima bei. Und dies ist ein Baustein, der u.a. die Arbeitgebermarke in einem engen Arbeitsmarkt stärkt und Mitarbeiter*innen längerfristig an die Unternehmen bindet.

Über den Autor:

Dipl.-Kfm.Diplom-Kaufmann Jörg de Wall ist ausgebildeter Steuerfachangestellter mit über 20 Jahren Berufserfahrung im Bereich Finance. Seit 2014 ist er Personalberater und Senior Berater & Associate Partner bei Fischer HRM GmbH - Internationale Berater für Human Resources Management (www.fischer-hrm.de).

Kontakt:

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Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 24.06.2021, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.