21.07.2022 | Interview

"Der Verwaltung fehlt das Grundverständnis für Daten"

DKB

Von Alexandra Buba / Interview mit Prof. Dr. Thomas Meuche

Die Medienanfragen reißen in diesen Tagen nicht ab bei Prof. Dr. Thomas Meuche an der Hochschule Hof in Bayern. Der Verwaltungsexperte ist gefragt bei ARD, WDR und anderen, die wissen wollen, wie das denn sei, mit den Problemen beim Zensus, beim Katastrophenmanagement im Ahrtal, bei der Beschaffung der Bundeswehr - oder eben bei Elster. Die Plattform war am 11. Juli wegen zu vieler gleichzeitiger Zugriffe aufgrund von Grundsteuererklärung und Umsatzsteuervoranmeldung so überlastet, dass ein Zugriff über längere Zeit nicht möglich war.

Prof. Dr. Thomas Meuche
Foto: Prof. Dr. Thomas Meuche

Die Verwaltung offenbart in der Krise eine Schwachstelle nach der nächsten - erstaunen mag dies vielleicht die breite Öffentlichkeit, den Wissenschaftler und Studiengangleiter berufsbegleitende Bachelorstudiengänge „Betriebswirtschaft“, „Digitale Verwaltung“, „Digitale Wirtschaft“ und Leiter des Kompetenzzentrums "Digitale Verwaltung" Thomas Meuche aber keineswegs. Zu lange schon predigt er seinen Studierenden, dass es deutlich mehr braucht als ein wenig Technik, um die deutsche Verwaltung fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen. Es geht um nichts weniger als einen Kulturwandel, der mit dem Eingeständnis beginnt, dass derzeit das generelle Grundverständnis für den Umgang mit Daten fehlt.

STB Web:
Herr Prof. Dr. Meuche, was sagen Sie zum Chaos bei der Erklärung der Grundsteuer?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Daran zeigt sich wieder einmal, wie vollkommen unreflektiert Verwaltungshandeln in diesem Land geschieht. Da werden alle 30 Millionen Erklärungsverpflichteten gleichzeitig angeschrieben und zum selben Termin aufgefordert, sich auf einer Plattform einzuloggen. Das ist aberwitzig, kein Unternehmen der Welt käme auf die Idee, sofort in den 100-Prozent-Betrieb zu gehen! Sinnvoll wäre von Anfang an ein abgestuftes System gewesen, ein Bundesland nach dem anderen, mit einem entzerrten Terminfenster, das bis Ende des Jahres andauert.

STB Web:
Doch das wurde nicht gemacht - weshalb?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Ja, das wurde nicht getan, obwohl es nicht einmal Geld kosten würde! Das Kernproblem ist dabei kein technisches, sondern ein organisatorisches, und das beginnt mit der mangelnden Qualifizierung in der Verwaltung; die Ausbildung ist schließlich nach wie vor eine rein juristisch-technokratische. Den Mitarbeitenden - und zwar auf allen Ebenen - fehlt daher das grundlegende Verständnis für Daten, das Antworten auf die Fragen liefern könnte: Wo liegen solche? Was machen wir damit? Welche Ressourcen bindet Erhebung, Speicherung und Verarbeitung?

Eine Verwaltungsreform beginnt mit Bildung.

STB Web:
Es bedarf also zunächst einmal einer Qualifizierung der Mitarbeitenden im Hinblick auf Digitalisierung?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
So ist es, eine Verwaltungsreform beginnt mit Bildung. Denn ich kann ja nicht von heute auf morgen sagen, jetzt entscheidet mal jeder hier selbst. Im Moment ist häufig keiner zuständig, Entscheidungen werden von unten nach oben und wieder zurückgeschoben, deshalb funktioniert Verwaltung gerade in der Krise nicht. Die Ursachen dafür sind historisch begründet, die Verwaltung basiert heute immer noch auf Max Webers Konstrukten, bei denen es vor allem um Effizienz geht - die ist aber nur dann gut, wenn Sie immer dieselben Prozesse haben, und das ist immer seltener der Fall.

STB Web:
Also stimmt schon die Grundausrichtung der Verwaltung überhaupt nicht?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Sie passt einfach nicht mehr in die Zeit. Das Ergebnis von Verwaltung ist bei uns der Bescheid - und der darf nicht fehlerhaft sein. Deshalb übt kaum jemand den Ermessensspielraum aus, den das Gesetz eigentlich lässt, einfach um keinen Fehler zu machen. Nichts zu machen, ist dagegen überhaupt kein Problem.

Sie haben Elster, nun gut, aber was ist das?

STB Web:
Bei der Finanzverwaltung ist das ja vielleicht noch mal ein Stück anders, da hier der Staat ein Eigeninteresse hat, nämlich das, seine Finanzierung sicher zu stellen. Wo sehen Sie hier die größten Probleme?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Das sollte man meinen, aber ich kann nicht feststellen, dass die Finanzverwaltung in irgendeiner Weise fortschrittlicher wäre als andere Bereiche. Sie haben Elster, nun gut, aber was ist das? Ich kann Formulare online ausfüllen, händisch Daten eintippen in Masken, die der Staat ohnehin von mir hat. Weshalb muss ich als Beschäftigter des Freistaats Bayern eigentlich dem Freistaat Bayern meine Einkünfte erklären? Das ergibt prinzipiell keinen Sinn und erklärt sich einfach nur durch die vielen nicht nutzbaren und isolierten Datentöpfe, die die Verwaltung befüllt.

STB Web:
Wieso lassen sich die Dateninseln der Verwaltung nicht verbinden?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Selbst wenn eine Zusammenführun möglich wäre, könnten Sie einen großen Teil der Daten überhaupt nicht nutzen, da es unterschiedlichste Datenquellen mit ganz verschiedenen Strukturen gibt. Das lässt sich nicht verknüpfen, zumal etliches lediglich als PDF vorliegt. Formulare einscannen ist in der Verwaltung doch heute oftmals schon das höchste der Gefühle. Auch hier stimmt schon wieder der organisatorische Ansatz nicht: Die Verwaltung versucht gerade, mit einem schlichten DMS das umzusetzen, wofür Unternehmen ERP-Systeme haben. Das kann nicht funktionieren.

Auf jeden Missstand wird nur Geld gekippt - das dann im Zweifel nicht einmal abgerufen wird.

STB Web:
Wie lässt sich diesem Drama begegnen?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Mit politischem Willen - den ich allerdings in unterschiedlicher Weise in den Bundesländern sehe. So mag es ein Zufall sein, dass wir zwar als Kompetenzzentrum „Digitale Verwaltung“ vom Bayerischen Digitalministerium gefördert sind, unsere Anfragen aber hauptsächlich aus Sachsen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein kommen. Wichtig wäre, endlich davon wegzukommen, immer nur die Millionen und Milliarden anzukündigen, die ein Problem beheben sollen und stattdessen konkrete Erfolge in den Blick zu nehmen. Das geschieht nämlich nicht, vielmehr wird auf jeden Missstand nur Geld gekippt - das dann im Zweifel nicht einmal abgerufen wird.

STB Web:
Stichwort Datenschutz - wenn man die deutsche Verwaltung mit der in anderen Ländern vergleicht, dann wird reflexartig der hohe Standard beim Datenschutz hierzulande betont. Können Sie sich dieser Ursachenanalyse anschließen?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Nur bedingt, denn ich habe den Eindruck, Datenschutz wird als Argument häufig nur vorgeschoben. Selbst wenn man ihn aber als Hürde gelten lassen will, sollte man eine neue Debatte darüber anstoßen, ob bestimmte Gesetze nicht auch wieder verändert werden können. Eine solche Diskussion gibt es aber nicht.

Die Funktionsfähigkeit der Verwaltung hat ganz unmittelbar Einfluss auf die Stabilität der Demokratie.

STB Web:
Dabei geht es jetzt nicht nur um ein bisschen Datenbank-Chaos bei der Grundsteuererklärung, oder?

Prof. Dr. Thomas Meuche:
Nein, wir müssen verstehen, dass die Funktionsfähigkeit der Verwaltung ganz unmittelbar Einfluss auf die Stabilität der Demokratie hat. Denn wenn der Staat stets nur scheitert, stellt sich über kurz oder lang die Frage nach seiner Daseinsberechtigung in der jetzigen Form.

Zur Person

Prof. Dr. Thomas MeucheProf. Dr. Thomas Meuche leitet die berufsbegleitenden Bachelorstudiengänge "Betriebswirtschaft", "Digitale Verwaltung" und "Digitale Wirtschaft" an der Hochschule Hof sowie das "Kompetenzzentrum Digitale Verwaltung".

Alexandra BubaDas Gespräch führte Alexandra Buba. Sie ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com) und schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.

 


Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 21.07.2022, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.