01.12.2022 | Fachartikel/Kommentar

Erhöhte Bewertung von Immobilien durch das Jahressteuergesetz 2022 – berechtigte Hinweise oder Panikmache?

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Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht

Durch das Jahressteuergesetz 2022 soll es ab 2023 zu einer erhöhten Bewertung von Immobilien für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer kommen. Wurden diese geplanten Änderungen in der öffentlichen Diskussion zunächst eher nicht berücksichtigt, überschlagen sich seit einigen Wochen die Berichte zumindest in Fachkreisen. Inzwischen ist die Diskussion auch in den allgemeinen Nachrichten angekommen. Was ist dran an den Befürchtungen?

Grundsätzlich ist auch etwa eine Eigentumswohnung in München nicht von einer verschärfenden Regelung bei der Bewertung betroffen. (Foto: © iStock.com/Anka100)

Insbesondere wird eine erhöhte Belastung mit Erbschafts- und Schenkungsteuer ab 2023 befürchtet und so verwundert es nicht, dass bereits eine Anhebung der persönlichen erbschafts- und schenkungsteuerlichen Freibeträge, wenn bislang auch nur vereinzelt, gefordert wird. Und es wird dazu aufgefordert, geplante Übertragungen von Immobilien noch in diesem Jahr durchzuführen, um noch die geringere Bewertung in Anspruch nehmen zu können.

Geplante Änderungen bei Anwendung des Sach- und Ertragswertverfahren

Richtig ist, dass im Entwurf des Jahressteuergesetz 2022 eine Änderung der Bewertung von Immobilien vorgesehen ist. So soll etwa die Gesamtnutzungsdauer einer Wohnimmobilie von 70 auf 80 Jahre erhöht werden. Dadurch verringert sich die jährlich anzusetzende Abschreibung. Verringert werden sollen auch die vom Wert abzugsfähigen Pauschalen, etwa für die Bewirtschaftungs-, Verwaltungs- und Instandhaltungskosten. Zusätzlich ist geplant, die Wertzahlen für Ein- und Zweifamilienhäuser und Wohnungs- und Teileigentum und Geschäftsgrundstücke nach oben anzupassen. All diese Maßnahmen führen zu einer Erhöhung der Bewertung von Immobilien, allerdings – und darauf wird nicht immer hingewiesen – nur dann, wenn es zur Anwendung des Ertrags- oder Sachwertverfahren kommt. Erfolgt die Bewertung des Grundstücks nach dem Vergleichswertverfahren, haben die geplanten Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2022 grundsätzlich keine Auswirkung, da hierfür die Verkäufspreise vergleichbarer Grundstücke herangezogen werden.

Vergleichswertverfahren versus Ertrags- oder Sachwertverfahren

Beim Vergleichswertverfahren nach § 183 BewG werden aus Verkäufen von vergleichbaren Grundstücken Verkehrswerte von den örtlich zuständigen Gutachterausschüssen ermittelt und daraus der Wert des zu bewertenden Grundstücks abgeleitet. Dieses Verfahren, wie § 182 BewG zeigt, ist grundsätzlich für alle Grundstücke mit Ausnahme von Mietwohngrundstücken und Geschäftsgrundstücken (und sonstigen bebauten Grundstücken) vorgesehen. Eigentumswohnungen, selbst wenn sie vermietet werden, zählen ebensowenig zu Mietwohngrundstücken wie Ein- oder Zweifamilienhäuser. Das heißt, bei diesen Grundstücken wird grundsätzlich das Vergleichswertverfahren angewendet.

Praxis-Hinweis: Von der Änderungen betroffen sind danach insbesondere Mietwohngrundstücke und Geschäftsgrundstücke, da bei diesen, auch wenn Vergleichswerte vorliegen, stets das Ertrags- oder Sachwertverfahren anzuwenden ist, vgl. § 182 Abs. 3 f BewG.

Bei Ein- und Zweifamilienhäusern, Eigentumswohnungen und Teileigentum ist das Vergleichswertverfahren anzuwenden. Allerdings gilt das nicht ausnahmslos, sondern nur dann, wenn entsprechende Daten tatsächlich zeitnah, das heißt innerhalb der letzten drei Jahre, vorliegen. Vergleichswerte liegen in der Regel von allen Ballungsgebieten und Großstädten vor. Ob diese Daten vorliegen, kann beispielsweise über BORIS abgefragt werden.

Liegen keine Vergleichsdaten vor, erfolgt die Bewertung – quasi hilfsweise – anhand des Sachwertverfahren, vgl. § 182 Abs. 4 Ziff. 1 BewG.

Praxis-Hinweis: Die geplanten Änderungen wirken sich bei der Bewertung von Ein- und Zweifamilienhäusern, Teileigentum und Eigentumswohnungen aus, wenn mangels Vergleichsdaten das Vergleichswertverfahren nicht angewendet werden. 

Persönliche Situation der Mandantschaft

Aber auch in Fällen, in denen der Immobilienbesitz der Mandantschaft nach dem Sach- oder Ertragswertverfahren zu bewerten ist, bedeutet dies nicht automatisch eine Erhöhung der Erbschafts- und Schenkungsteuer ab 2023. Werden die persönlichen Freibeträge auch nach der „neuen“ Bewertung nicht überschritten, haben die geplanten Änderungen keine Auswirkung.

Zu beachten sind auch Steuerbefreiungen, die bei der Übertragung von Immobilien gewährt werden. Ist der Immobilienerwerb von der Schenkungssteuer, etwa bei der Übertragung eines Familienheims zwischen Eheleuten nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG und von der Erbschafsteuer, etwa bei dem Erwerb des Familienheims von Todes wegen nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 4b, 4c ErbStG, befreit, wirken sich die geplanten Änderungen nicht aus. Denn für diese Befreiungen kommt es auf den Wert der Immobilie nicht an; für die Inanspruchnahme dieser Steuerbefreiungen ist der Wert unerheblich. Auch die insbesondere für Betriebsvermögen gewährten Steuerbefreiungen nach § 13 a ff ErbStG sind hier zu berücksichtigen. 

Zusammenfassung:

Auswirkungen haben die im Jahressteuergesetz 2022 enthaltenen Änderungen vor allem bei Grundstücken, die nicht im Vergleichswertverfahren zu bewerten sind, entweder, weil ein anderes Bewertungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben ist, wie bei den Wohn- und Geschäftsgrundstücken, oder weil das Vergleichswertverfahren nicht angewendet werden kann, weil die örtlichen Gutachterausschüsse keine Vergleichswerte ermittelt haben. In den meisten Ballungsgebieten liegen diese Vergleichswerte jedoch vor.

Das heißt, Handlungsbedarf besteht bei Mandant*innen, denen Wohn- und Geschäftsgrundstücke gehören. Allerdings müsste, um die noch geringere Bewertung in Anspruch zu können, die Übertragung noch in 2022 durchgeführt werden. Es ist nichts dagegen einzuwenden, eine Übertragung, die ohnehin geplant war, nach 2022 vorzuziehen, wenn nicht andere Gründe dagegen sprechen. Unbedingt gewarnt werden muss aber vor übereilten schenkweisen Übertragungen noch in diesem Jahr, um eine höhere Bewertung zu verhindern. Denn dabei handelt es sich in der Regel um komplexe Regelungen, die gut durchdacht werden müssen. Und die Rückgängigmachung von „fehlgeschlagenen“ Übertragungen ist in der Regel teuer und kann weitere Steuern auslösen.

Sollte es, ggf. auch bedingt durch die neuen Regelungen, zu einer Überbewertung kommen, kann der gemeine Wert auch durch Vorlage eines, allerdings auf eigene Kosten zu erstellenden, Gutachtens nachgewiesen werden, vgl. § 198 BewG.

Abschließend ist festzustellen, dass der Kreis der Personen, die von den Verschärfungen betroffen sind, nicht so groß ist, wie manche Berichterstattung vermuten lässt. Insbesondere nicht betroffen sind die Eigentümer*innen von Eigentumswohnungen in Ballungsgebieten, da die Bewertung davon im Allgemeinen nach dem Vergleichswertverfahren erfolgt und dafür keine Verschärfungen vorgesehen sind.

* Über die Autorin:

Susanne ChristSusanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Sie ist langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der 2019 im Nomos Verlag erschienen ist. E-Mail: s.christ@netcologne.de

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 01.12.2022, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.