25.05.2023 | Fachartikel

Überbrückungshilfen: Viele rechtswidrige Ablehnungen vor den Schlussabrechnungen

Von RA Dennis Hillemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und RAin Tanja Ehls

Viele Steuerberater*innen erreichen derzeit Ablehnungen auf offene Anträge auf Überbrückungshilfen. Oftmals völlig überraschend: Monatelang erfolgte zuvor keine Reaktion der Bewilligungsstellen. Sogar Anträge auf Überbrückungshilfe III liegen häufig seit mehr als einem Jahr bei den Stellen ohne Entscheidung. Und dann gibt es auf einmal, ohne weitere Ankündigung, eine Ablehnung mit pauschaler, oberflächlicher Begründung. Die Autoren begleiten als Anwälte derzeit viele Unternehmen und deren Steuerberater*innen dabei, sich gegen solche Entscheidungen zu wehren. In diesem Beitrag berichten sie aus der Praxis der Bewilligungsstellen – und geben Tipps zum Umgang mit diesen.

RA Dennis Hillemann
Foto: RA Dennis Hillemann
RAin Tanja Ehls
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Hintergründe der Ablehnungen

Ihren Mandanten können Sie die Absagen plausibel erklären. Die Flut an plötzlichen Ablehnungen hat einen einfachen Hintergrund: Die Schlussabrechnungen stehen an. Die Schlussabrechnungen für die November- und Dezemberhilfe sowie die Programme der Überbrückungshilfe I bis IV müssen bis zum 30.6.2023 eingereicht werden. Auf Antrag kann die Frist einmalig bis zum 31.12.2023 verlängert werden. Sie schließen die Überbrückungshilfe-Verfahren ab – denn bisher waren alle Hilfen nur vorbehaltlich der Schlussabrechnungen gewährt worden. Mit den Schlussabrechnungen erfolgt die tatsächliche, letztverbindliche Festsetzung der Überbrückungshilfe.

Voraussetzung für die Einreichung der Schlussabrechnungen ist jedoch das Vorhanden eines (teilweise positiven) Bescheides. Das erklärt die Eile der Bewilligungsstellen. Sie müssen denklogisch alle laufenden Antragsverfahren endgültig abschließen, bevor die Frist für die Schlussabrechnungen abgelaufen ist.

Steuerberater*innen können ihren Mandanten daher aus unserer Erfahrung berichten: Sie sind nicht alleine, wenn sie plötzlich eine Ablehnung erhalten.

Pauschale Begründungen, falsche Rechtsbehelfsbelehrungen

Die Begründungen für die Ablehnungen wirken dabei oft wie ein Schlag ins Gesicht für die Unternehmen und die prüfenden Dritten. Sie gehen mit keinem Wort auf die Darstellungen und die Korrespondenz im Antragsverfahren ein. Alles, was von den prüfenden Dritten erklärt wurde, scheint ignoriert zu werden. Beispiele:

  • Insbesondere Anträge auf Überbrückungshilfe IV werden häufig mit Textbausteinen abgelehnt. Angeblich liege kein coronabedingter Umsatzeinbruch vor. Material- oder Lieferengpässe würden nicht ausreichen, saisonale oder dem Geschäftsmodell inhärente Schwankungen würden nicht gefördert werden. Häufig haben diese Begründungen nichts damit zu tun, was zuvor im Antragsverfahren geschrieben wurde.
  • Es wird ohne nähere Begründung ein Unternehmensverbund angenommen zwischen Unternehmen, die völlig unabhängig sind. Besonders "rabiat" agiert hier die IHK für München und Oberbayern. Erzählen Sie betroffenen Mandanten gerne dieses Beispiel aus unserer Praxis: Zwei Brüder betreiben in Konkurrenz zueinander ähnliche Geschäfte. Diese Geschäfte sind zig Kilometer voneinander entfernt, stehen im Wettbewerb, unterhalten keine Leistungsbeziehungen. Eine liebevolle Familiengemeinschaft gibt es nicht. Die IHK für München und Oberbayern reicht die familiäre Verbindung, um einen Unternehmensverbund anzunehmen, Förderung abzulehnen bzw. zu kürzen. Eine Auseinandersetzung mit der europarechtlichen Definition des Unternehmensverbundes, geschweige denn mit Artikel 6 Grundgesetz, der die Familie vor Diskriminierungen schützt? Fehlanzeige. Nun müssen Gerichte entscheiden.
  • Fixkosten werden pauschal gekürzt, ohne nähere Begründung. Die Autoren haben mehrere Bescheide – zum Beispiel von der Bezirksregierung Arnsberg -, in denen es an einer rechtlichen Begründung völlig fehlt. Stattdessen schreibt die Bezirksregierung in einem besonders bemerkenswerten Fall unter dem Abschnitt "Rechtliche Würdigung" nur "Subsumtion???". Offenbar werden manche Bescheide ohne jegliche Qualitätskontrolle versandt.

Wenn Ihre Mandanten daher von ähnlichen Fällen betroffen sind, liegt es wahrscheinlich nicht an Ihrer Arbeit als "prüfender Dritter". Es ist ein bundesweiter Trend. 

Mehrere Verwaltungsgerichte haben im Übrigen schon moniert, dass sogar die Rechtsbehelfsbelehrungen zu den Bescheiden gelegentlich falsch sind. So wird nicht selten auf eine Klageerhebung vor einem falschen Verwaltungsgericht verwiesen, offenbar, weil die Bearbeiter mit Textbausteinen arbeiten und nicht die Zuständigkeiten nach der Verwaltungsgerichtsordnung prüfen. 

Ablehnungen nicht einfach akzeptieren

Wir raten Steuerberater*innen daher dringend an, den Mandanten nicht zu raten, solche Ablehnungen einfach zu akzeptieren – frei nach dem Motto "Pech gehabt". Das kann später zur Haftung führen. Unabhängig von den Gründen, die eine Anfechtung ermöglichen - dazu sogleich -, ist insbesondere Folgendes wichtig: Es gibt bisher kaum gefestigte Rechtsprechung zu den Corona-Überbrückungshilfen. Einige wenige Gerichtsentscheidungen betreffen erkennbar Sonderfälle oder waren nicht (gut) anwaltlich betreut und können damit nicht für einen allgemeinen Trend stehen, dass die Gerichte Klagen bei den Überbrückungshilfen generell ablehnend gegenüberstehen. Die Klagewelle steht erst am Anfang. Wenn dann Verwaltungsgerichte später zugunsten von Klägern in ähnlich gelagerten Fällen entscheiden, könnten unzufriedene Mandanten dazu geneigt sein, ihre Steuerberater*innen in die Haftung zu nehmen – wegen falschem Rechtsrat.

Raten Sie Ihren Mandanten schriftlich (per E-Mail reicht), die Ablehnung durch einen Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Das dürfte Sie in der Regel aus der Haftung befreien.

Ablehnungen schon formell rechtswidrig

Denn schon dem äußeren Anschein nach fragwürdige Ablehnungen können bereits formell rechtswidrig sein – eine erste Chance, dagegen vorzugehen.

Die Überbrückungshilfeverfahren sind Verwaltungsverfahren im Sinne der Verwaltungsverfahrensgesetze der Bundesländer. Diese verpflichten die Bewilligungsstellen als Behörden jedoch zur Ermittlung und Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes. Unterlässt die Behörde die sachlich notwendige Aufklärung, liegt ein Verfahrensfehler vor. Das gilt insbesondere dann, wenn die Behörde ihr vorliegende Informationen schlicht ignoriert (dann liegt im Übrigen auch ein materieller Ermessensfehler vor).

Zudem sind Bescheide mit "???" in der rechtlichen Würdigung offenkundig fehlerhaft begründet. Auch das begründet einen erheblichen Verfahrensmangel, der gerügt werden sollte.

Aber: Auf die materielle Rechtslage kommt es an

Mache Steuerberater*innen wollen dann wegen solcher formeller Fehler in den Bescheiden selbst Widerspruch oder sogar Klage vor dem Verwaltungsgericht für die Mandanten erheben. Doch das ist nicht ohne Gefahren.

Zunächst: Denken Sie an die Form! Widersprüche müssen schriftlich erhoben werden (per Telefax oder per Post, bitte fristwahrend mit Zugangsnachweis). Bitte erheben Sie keine Widersprüche per E-Mail! Und bei Klagen vor dem Verwaltungsgericht gilt auch für Steuerberater*innen, § 55d der Verwaltungsgerichtsordnung in Verbindung mit §§ 86d, 157e Steuerberatungsgesetz verpflichten sie wohl, ein elektronisches Dokument zu übermitteln. Aktuell haben wir hier einen Fall in der Praxis, bei dem ein Steuerberater eine fristwahrende Klage per Telefax erhoben hat. Das Verwaltungsgericht hält die Klage für formunwirksam erhoben, nun ist sie verfristet, weil wir zu spät eingeschaltet worden sind.

Doch selbst wenn Widerspruch oder Klage wirksam erhoben worden sind, reichen formelle Gründe für die Begründung oft nicht aus. Im Verwaltungsverfahrensrecht ist es möglich, dass solche Mängel der Sachverhaltsaufklärung und der Begründung noch im Verfahren durch die Behörde geheilt werden. Und davon machen die Bewilligungsstellen rege Gebrauch: Bisher sehen wir bei ihnen selbst bei absurdesten Fehlern im Verfahren keine Bereitschaft, von ablehnenden Entscheidungen allein aus formellen Gründen abzurücken. Das sollten Steuerberater*innen bei der Beratung ihrer Mandanten berücksichtigen.

Es gilt dann also, in Widerspruchs- und Klageverfahren in der Begründung des Rechtsbehelfs darauf hinzuweisen, dass auch materiell die Fördervoraussetzungen gegeben sind. Hierbei ist es für Steuerberater*innen wichtig sich klarzumachen, dass es sich bei den Widerspruchs- und Klageverfahren um Verwaltungsverfahren handelt, die sich von den Verfahren bei der Finanzverwaltung bzw. vor der Finanzverfassungsgerichtsbarkeit unterscheiden.

Es gibt viele Ansatzpunkte

So kennen wir Widersprüche und Klagen, bei denen Steuerberater*innen beim Thema des coronabedingten Umsatzeinbruchs auf "Lieferschwierigkeiten, Inflation, Ukraine-Krieg" in ihren Begründungen hinweisen – genau das begründet aber gerade keinen coronabedingten Einbruch und ist ein "gefundenes Fressen" für die regelmäßig anwaltlich vertretenen Bewilligungsstellen (insbesondere in Bayern und Hamburg) die Begründungen auseinander zu nehmen. Statt sich gleich auf das "Spielfeld" der Bewilligungsstelle zu begeben und über den konkreten Sachverhalt in der Tiefe zu diskutieren, kann es auch sinnvoll sein, mit der Darlegungslast zu argumentieren. Es ist wichtig, an den Richtlinien, den Dokumenten, auf die diese verweisen (zum Beispiel auch Dokumente der KfW oder der Europäischen Kommission) und häufig auch anhand des übergeordneten Rechts, zum Beispiel des Europarechts oder des deutschen Verfassungsrechts, zu argumentieren. Beispiele:

  • Wenn die Bewilligungsstelle zu Unrecht von verbundenen Unternehmen ausgeht und Förderung ablehnt oder kürzt, muss eine vertiefte Auseinandersetzung mit der europarechtlichen Definition und den Entscheidungen der Europäischen Kommission erfolgen. Das Europarecht geht dem deutschen Recht vor.
  • Das gilt insbesondere in familiären Strukturen. Hier ist die Praxis der Bewilligungsstellen bundesweit besonders hart. Unter Berufung auf das Europarecht wird geäußert, dass familiäre Verbindungen alleine ausreichen, um "verbundene Unternehmen" anzunehmen. Weder sagt das die europarechtliche Begriffsbestimmung aus, noch hat sich die Europäische Kommission je so geäußert. Das ist eine deutsche "Erfindung".
  • Häufig nehmen die Bewilligungsstellen dabei auch zu schnell an, dass bestimmte Tätigkeiten von Familienmitgliedern "Unternehmen" sind, zum Beispiel private Vermietung. Das ist ein Systembruch im deutschen Recht, insbesondere im Verhältnis zum Steuerrecht.
  • Bei dem coronabedingten Umsatzeinbruch ist nicht nur anhand der Richtlinien zu argumentieren, sondern auch mit dem verwaltungsrechtlichen Aspekt der Darlegungslast. Unser Ziel ist es derzeit, diese umzukehren in den für unsere Mandanten vertretenen Verfahren: Wenn der "prüfende Dritte" den Umsatzeinbruch als coronabedingt bestätigt, muss unseres Erachtens die Bewilligungsstelle das Gegenteil beweisen.

Das sind nur einige Beispiele, wie wir in der Praxis argumentieren. Natürlich kommt es immer auf den Einzelfall an, aber Sie sehen: Es gibt viele Ansatzpunkte. Gerade, weil noch nichts abschließend durch die Verwaltungsgerichte entschieden ist, gibt es Chancen. Aber natürlich auch Risiken – auch darüber müssen sich die Mandanten bei dieser unklaren Rechtslage im Klaren sein. 


Über die Autor*innen:

RA Dennis Hillemann RAin Tanja Ehls Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher (www.fieldfisher.com). Tanja Ehls arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von Fieldfisher. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 25.05.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.