26.09.2024 | Fachartikel

Der Begünstigungstransfer im Erbschaftsteuerrecht

Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht

Erben mehrere Personen steuerbegünstigtes Vermögen und übernimmt eine von diesen Personen im Rahmen der Erbauseinandersetzung das begünstigte Vermögen allein, kann diese Person unter bestimmten Voraussetzungen für das gesamte Wirtschaftsgut die Steuerbegünstigung in Anspruch nehmen. Der BFH hat in einer aktuellen Entscheidung die Voraussetzungen für diesen sogenannten Begünstigungstransfer konkretisiert.

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Wie funktioniert der Begünstigungstransfer?

Beim Begünstigungstransfer muss einer der Miterbenden zum Nachlass gehörendes begünstigtes Vermögen von anderen Miterbenden übernehmen und dafür den anderen nicht begünstigtes Vermögen des Nachlasses im Rahmen einer Erbauseinandersetzung hingeben. Erfolgt die Erbauseinandersetzung zeitnah zum Erbfall, liegen die Voraussetzungen des Begünstigungstransfers vor. D.h., die das begünstigte Vermögen übernehmende Person kann für das begünstigte Vermögen insgesamt – und nicht nur für ihren Anteil daran – die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen.

Am besten lässt sich der Begünstigungstransfer an einem Beispiel veranschaulichen:

Die verwitwete W ist verstorben und wird von ihren beiden erwachsenen Kindern, der Tochter T und dem Sohn S zu gleichen Teilen beerbt. Zum Nachlass zählt ein Barvermögen in Höhe von 600.000 Euro und eine 100 qm große Immobilie, die W bis zu ihrem Tod als Familienheim genutzt hat, mit einem Wert von 500.000 Euro. Im Rahmen der Erbauseinandersetzung einigen sich T und S darauf, dass T die Immobilie insgesamt übernimmt und S vom Barvermögen 550.000 Euro erhält und T 50.000 Euro. Diese Vereinbarung wird vier Monate nach dem Tod der Mutter notariell beurkundet, T zieht mit ihrer Familie in das Haus ein und nutzt es dauerhaft als Familienheim.

T erfüllt in ihrer Person den Tatbestand des Begünstigungstransfers. Sie hat zur Erbmasse zählendes begünstigtes Vermögen (1/2 Familienheim im Wert von 250.000 Euro) ihres Bruders im Rahmen der Erbauseinandersetzung erhalten und ihm dafür nicht begünstigtes Vermögen (Barvermögen in Höhe von 250.000 Euro) hingegeben. Diese Vereinbarung ist im Rahmen der Erbauseinandersetzung zwischen den Geschwistern und innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt.

Voraussetzungen für den Begünstigungstransfer

1. "Austausch" im Rahmen der Erbauseinandersetzung

Voraussetzung für den Begünstigungstransfer ist, dass der "Austausch" der geerbten Gegenstände im Rahmen der Erbauseinandersetzung erfolgt. Ist die Erbauseinandersetzung bereits durchgeführt worden und werden die Gegenstände später "getauscht", besteht für den Begünstigungstransfer kein Raum mehr. Hätten also im Beispiel oben die Geschwister zunächst die Immobilie zu gleichen Teilen übernommen und sich jeweils 300.000 Euro ausgezahlt und hätten dann später die Entscheidung getroffen, dass T dem S seinen Anteil für 250.000 Euro abkauft, wäre der Begünstigungstransfer nicht mehr möglich gewesen.

Folglich hätte T die Steuerbefreiung für das Familienheim nur für die halbe Immobilie in Anspruch nehmen können. S könnte die Steuerbefreiung für die andere Hälfte der Immobilie nicht in Anspruch nehmen, weil er die Immobilie nicht als Familienheim nutzt, also die persönlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nicht erfüllt. Die Steuerbefreiung würde bei dieser Gestaltung in Höhe von 250.000 Euro "verloren" gehen.

Allerdings muss der Begünstigungstransfer nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall eingehalten werden, wie es die Finanzverwaltung im aktuellen Fall gefordert hatte. Dies hat der BFH in seiner Entscheidung vom 15.5.24 (Az. II R 12/21) betont. In der Praxis ist diese Frist häufig auch nicht einzuhalten, insbesondere, wenn die Erbenden untereinander heftig zerstritten sind. Auch die Finanzverwaltung hat in der Vergangenheit nicht immer auf die Einhaltung der 6-Monats-Frist bestanden, sondern auch Fristen von zwei Jahren und mehr anerkannt. Vor allem dann, wenn erkennbar war, dass vor der Erbauseinandersetzung mühsame und langwierige Verhandlungen geführt werden müssen. Erfreulich an der Entscheidung ist, dass der BFH die schon häufig geübte Praxis nunmehr auch höchstrichterlich bestätigt.

Achtung: Haben die Miterbenden zunächst "willentlich", wie der BFH es nennt, entschieden, den Nachlass ungeteilt zu lassen, ist bei der späteren Teilung des Nachlasses kein Raum mehr für den Begünstigungstransfer. Der schlichte Zeitablauf stellt allerdings keine "willentliche" Entscheidung dar, den Nachlass zunächst ungeteilt zu lassen. Ob die Teilung des Nachlasses im Rahmen der Erbauseinandersetzung erfolgt, ist unter Berücksichtigung der getroffenen Regelungen, insbesondere des Erbauseinandersetzungsvertrags, auszulegen. Hier sollten, wenn sich die Erbauseinandersetzung zeitlich hinzieht, Hinweise darauf gegeben werden, warum es so lange dauerte.

2. Hingegebenes Vermögen muss aus der Erbmasse erfolgen

Der Begünstigungstransfer gelingt nur, wenn das hingegebene Vermögen zur Erbmasse gehört. Im obigen Fall war das von T hingegeben Barvermögen Teil der Erbmasse. Hätte der Nachlass ausschließlich aus der Immobilie bestanden und T ihren Bruder aus Eigenvermögen ausbezahlt, wäre für den Begünstigungstransfer kein Raum gewesen. Allerdings hätte in diesem Fall der der T zuzurechnende Nachlass einen Umfang von 250.000 Euro umfasst, für den sie die Steuerbefreiung in Anspruch hätte nehmen können. Ihr Bruder hätte diesen Wert der Erbschaftsteuer unterwerfen müssen, da er die Immobilie nicht zu Wohnzwecken nutzt. Aber auch im Falle des Begünstigungstransfer hätte er nicht davon profitiert. Der von T ihrem Bruder abgekaufte Teil der Immobilie stellt bei ihr einen entgeltlichen Erwerb dar und unterliegt nicht der Erbschaftsteuer.

Achtung: Grundsätzlich unterliegt der entgeltliche Erwerb von (Teil-)Immobilien von Geschwistern der Grunderwerbsteuer. Erfolgt der entgeltliche Erwerb im Rahmen der Teilung des Nachlasses, ist dieser Erwerb nach § 3 Nr. 3 Grunderwerbsteuergesetz von der Grunderwerbsteuer befreit. Auch hier gilt: Es darf nicht schon eine Erbauseinandersetzung stattgefunden haben, um diese Steuerbefreiung in Anspruch nehmen zu können.

Praxishinweise für die Steuerberatung

Im Rahmen der Erbschaftsteuererklärung und Berechnung der Erbschaftsteuer ist darauf zu achten, dass nur bei der Person, die die persönlichen Voraussetzungen für die jeweilige Steuerbefreiung/Steuervergünstigung erfüllt, diese zu berücksichtigen ist. Falsch ist es, diese Steuerbefreiungen auf alle Miterbenden gleichmäßig zu verteilen.

Dies ist nicht nur für die richtige Berechnung der voraussichtlich zu zahlenden Erbschaftsteuer von Bedeutung. Später der Mandantschaft zu erklären, dass sich die Steuern anders berechnen, kann mindestens sehr unangenehm werden, kann aber auch eine Haftung begründen. Insbesondere, wenn Testamentsvollstreckung angeordnet ist, kann die fehlerhafte Zuordnung der Steuerbefreiung/Steuervergünstigung haftungsrechtlich bedeutsam werden. Denn die Testamentsvollstreckerin/der Testamentsvollstrecker haftet für die Erbschaftsteuer und ist gut beraten, diese nicht vor Zahlung der Erbschaftsteuer an die Erbenden auszukehren, sondern die voraussichtliche Erbschaftsteuer (einschließlich eines Sicherheitszuschlages) zurückzubehalten. Wird aufgrund fehlerhafter Berechnung der Erbschaftsteuer nicht genügend Vermögen zurückbehalten, können Testamentsvollstrecker*innen persönlich zur Haftung herangezogen werden und werden versuchen, diese weiterzureichen.

Ähnlich wie bei den Vorerwerben ist auch bei den Steuerbefreiungen/Steuerbegünstigungen sorgfältig darauf zu achten, diese der richtigen Person zuzurechnen.

Übrigens: Wird beim Familienheim die zehnjährige Behaltensfrist nicht eingehalten, ist die erhaltene Steuerbefreiung rückwirkend aufzuheben. Bei einem Begünstigungstransfer ist dabei auch die durch den Begünstigungstransfer erhaltene Steuerbefreiung aufzuheben.


Autorin:

Susanne ChristSusanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer-, Erb- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Seit Juni 2023 ist sie Sprecherin des Erbrechtsausschusses beim Kölner Anwaltsverein. Daneben ist sie langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der seit 2019 im Nomos Verlag erscheint. E-Mail: s.christ@netcologne.de