28.11.2024 | Interview

»Macht mehr Beratung!«

Von Manuel Maurer, STB Web / Interview mit Angela Hamatschek und Cordula Schneider, Steuerberater-Netzwerk delfi-net

Angela Hamatschek und Cordula Schneider sind passionierte Kanzleiberaterinnen und aus der Steuerbranche nicht wegzudenken. Gemeinsam betreiben sie das delfi-net Steuerberater-Netzwerk mit rund 90 Kanzleien bundesweit, das dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Ein guter Anlass für ein Gespräch!

Angela Hamatschek
Foto: Angela Hamatschek
Kontakt auf LinkedIn
Cordula Schneider
Foto: Cordula Schneider
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Manuel Maurer:
Angela, Cordula, ihr kommt soeben von eurer delfi-net-Tour zurück. Was habt ihr da genau gemacht und wo wart ihr überall?

Angela Hamatschek:
4 mal pro Jahr reisen wir durch Deutschland und treffen uns mit den delfi-net Steuerberaterinnen und Steuerberatern in 6 Regionalgruppen persönlich. Jeweils an einem inspirierenden Ort sind wir dann in der Regel zwischen 10 und 20 Teilnehmern pro Veranstaltung.

Cordula Schneider:
Der Tag ist dann immer zweigeteilt: Wir starten mit einem offenen Erfahrungsaustausch, bei dem jeder erstmal seine Themen mitbringt. Angela und ich moderieren und strukturieren das, es bleibt aber immer locker. Im Anschluss daran bringen wir unsererseits ein Schwerpunktthema ein, zu dem wir Impulse und praktische Tipps geben. Im Vordergrund steht aber immer die Diskussion und dass alle auch von den Erfahrungen der anderen profitieren.

Manuel Maurer:
Was waren die Highlights?

Angela Hamatschek:
In der letzten Runde hatten wir das Schwerpunktthema "Spielregeln im Team". Beim Erfahrungsaustausch wurde über das Thema Erfolgsbeteiligung für Mitarbeitende diskutiert, was in den einzelnen Kanzleien tatsächlich funktioniert und was nicht.

Manuel Maurer:
Ihr macht das ja jetzt schon ziemlich lang, dieses Jahr habt ihr sogar das 25. Jubiläum gefeiert. Gratulation dazu! Was muss zu so einem nachhaltigen Gelingen wesentlich funktionieren?

Cordula Schneider:
Danke! Gegründet wurde das Netzwerk 1999. Angela ist 2004 eingestiegen, ich 2008. Eines unserer Erfolgsgeheimnisse ist die Auswahl der Mitglieder. Denn ein offenes Klima entsteht nur, wenn sich die Menschen miteinander wohlfühlen, sich keiner als "Zampano" oder Selbstdarsteller hervorhebt und so ein Grundvertrauen herrscht.

Ich lebe im Reich der Möglichkeiten und sie im Reich des Machbaren.

Manuel Maurer:
Und was schätzt ihr jeweils an eurer Zusammenarbeit besonders?

Angela Hamatschek:
Wir beide ergänzen uns super mit unseren Stärken. Ich schätze an Cordula, dass sie mich erdet und meine Begeisterung in umsetzbare Schritte verwandelt. Ich lebe ja im Reich der Möglichkeiten und sie im Reich des Machbaren. Wir gehen sehr offen und immer wertschätzend miteinander um, reden auch über unsere persönlichen Ziele und Hintergründe für Entscheidungen. So ist über die Jahre das Vertrauen entstanden, dass wir uns blind aufeinander verlassen können.

Cordula Schneider:
Ich schätze Angelas wachen Geist, der ständig auf der Suche nach neuen Ideen und Ansätzen ist. Ihre Begeisterungsfähigkeit steckt mich an und wir entwickeln die lohnenden Ideen gemeinsam weiter. Dabei ist sie immer offen für andere Aspekte und kritisches Feedback. Bei aller Ausrichtung auf die Zukunft finden wir so immer einen Weg, "große" Themen und Ideen auf die Kanzleien heute herunterzubrechen. Legendär ist auch Angelas Netzwerk-Talent!

Manuel Maurer:
Definitiv, das durfte ich auch schon erleben! In so vielen Jahren habt ihr ja wirklich viele Entwicklungen und Umbrüche in der Branche erlebt. Was waren und sind aus eurer Sicht die wichtigsten?

Angela Hamatschek:
Zu den wichtigsten Entwicklungen und Umbrüchen, die auch nachhaltig wirken, zählt auf jeden Fall das Internet, dessen Auswirkungen auf die Außendarstellung wir schon 2007 diskutiert haben. Daran logisch anknüpfend: Prozessoptimierung durch Digitalisierung und Automatisierung.

Cordula Schneider:
Und aktuell die KI und die Auswirkungen auf das Dienstleistungsangebot. Das ist auf keinen Fall nur ein kurzlebiger Hype.

Manuel Maurer:
Gab es auch Trends, die überbewertet wurden oder die ihr vielleicht selbst überbewertet habt?

Angela Hamatschek:
Unterschätzt haben wir glaube ich nichts, wir hören eher die Flöhe husten und sind dann manchmal für viele Kanzleien zu früh ;-)

Die Arbeitsweisen in geschätzt 80 Prozent der Kanzleien sind immer noch ähnlich wie vor 10 Jahren.

Cordula Schneider:
Ein Dauerbrenner-Thema etwa, das trotz jahrzehntelangen Predigens gefühlt nach wie vor nicht in der Branche angekommen ist: macht mehr Beratung. Wenn wir in Kanzlei-BWAs schauen, beträgt der Fibu-Anteil 30 bis 35 Prozent des Umsatzes. Heute ist immer noch vielen nicht klar, dass das wirklich eine massive Auswirkung auf die Dienstleistungen und das Honorar hat. Ich schätze, die Arbeitsweisen in 80 Prozent der Kanzleien sind immer noch ähnlich wie vor 10 Jahren und mit dem Schwerpunkt auf Deklaratorik. Der Wandel bedeutet Handlungsbedarf insbesondere auch bei den Kompetenzen der Mitarbeiter.

Manuel Maurer:
Das hätten wohl viele niemals gedacht, dass der sogenannte Fachkräftemangel, der ja schon seit Jahren durch die Wirtschaft geistert, die Steuerbranche und die eigene Kanzlei so deutlich treffen würde...

Angela Hamatschek:
Wir verfolgen das Thema ja tatsächlich schon lange, seit 2010, deshalb kam es für uns und die delfi-net Kanzleien zumindest nicht überraschend. Gerade bei diesem Thema sage ich ganz klar: Wer das nicht hat kommen sehen, hat nicht hingesehen.

Manuel Maurer:
Ist Besserung in Sicht oder wird die Lage in den nächsten Jahren angespannt bleiben?

Angela Hamatschek:
Wer sich aktiv mit der Zukunft seiner Kanzlei auseinandersetzt und die bereits heute vorhandenen Möglichkeiten von Digitalisierung, Automatisierung und zunehmend KI nutzt, wird die Nase vorn haben. Bei uns im delfi-net ist bei einigen Kanzleien sogar ein Schwenk zu spüren, dass Mitarbeitende Kapazitäten frei haben und neue Mandanten gesucht werden.

Für die Branche insgesamt sehen wir allerdings noch große Herausforderungen, da die Entwicklungen gerade exponentiell sind bei Automatisierungs- und KI-Lösungen. Der oft zitierte Zug ist schon längst aus dem Bahnhof rausgefahren und seine Geschwindigkeit verdoppelt sich jede Minute. Wer da noch am Gleis steht und guckt, na ja...

Wer das nicht hat kommen sehen, hat nicht hingesehen.

Cordula Schneider:
Ich möchte auch noch die Marktentwicklung bei den Mandanten ansprechen. Nicht zuletzt durch die Pandemie ist die Selbstständigkeit nicht gerade attraktiver geworden, da hier die Unternehmerrisiken klar zu Tage getreten sind. Das merken nicht nur die Kanzleien, die eine Nachfolgelösung suchen, sondern es betrifft auch die traditionelle Kern-Mandantschaft, die kleinen bis mittelgroßen Selbstständigen und Unternehmer, deren Marktumgebungen sich stark verändern.

Manuel Maurer:
Konkret?

Cordula Schneider:
Nehmen wir die Gesundheitsbranche. Waren die typischen Mandanten bis in die 2000er Jahre zum Beispiel noch die allein oder zu zweit tätigen Ärzte, sind es heute bereits die MVZ. In dieser Branche bahnt sich gerade eine große Konzentrationswelle an – Investoren kaufen Privatkliniken und Facharztpraxen in großem Stil auf. Diese Konzerne brauchen den Steuerberater dann kaum noch. Vielleicht ist also der Arzt-Mandant der Zukunft die angestellte Geschäftsführerin einer solchen Praxis. Das wird spannend – und verstärkt einmal mehr die Notwendigkeit von Beratungsdienstleistungen auch für eine solche Klientel.

Manuel Maurer:
Kommen wir nochmal zu euch persönlich. Neben dem delfi-net macht ihr ja auch noch monatlich Webinare zur Kanzleientwicklung und allerlei mehr. Du Angela, betreibst noch einen Podcast; besprichst Bücher und besuchst alle wichtigen Fachmessen, mit Cordula sogar regelmäßig die Accountex in London. Bei alledem erlebe ich dich stets gut gelaunt und nie gestresst. Verrätst du uns, wie du das schaffst?

Angela Hamatschek:
Danke, das Kompliment zaubert mir sofort ein Lächeln ins Gesicht! :-) Nun, ich habe erstens eine positive Grundeinstellung zur Welt und sehe zuerst die Möglichkeiten. Und zweitens bin ich von Natur aus "neu-gierig" und lerne einfach gern dazu. Ich denke, sonst wäre mir schlicht langweilig und dann hätte ich wohl tatsächlich schlechte Laune. Auch das regelmäßige Lesen von Management-Büchern strengt mich nicht an, sondern gibt mir laufend Impulse, die ich dann auch in die Beratung einfließen lasse.

Manuel Maurer:
Und wo bleibt dabei die Work-Life-Balance?

Angela Hamatschek:
Das verrate ich gern: Ich bin – bis auf die Reisen nach London – immer mit meinem Mann und unseren Hunden im Wohnmobil unterwegs bin, wir können das für uns stimmig verbinden und so habe ich nicht das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen.

Manuel Maurer:
Das klingt fein – ungewöhnlich, doch ich kann es mir gut vorstellen.

Cordula, du bist "von Haus aus" Steuerberaterin. Was hat dich zum Wechsel in die Coaching-Tätigkeit bewogen? Führst du auch noch eine eigene Kanzlei?

Leben wird ja immer vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.

Cordula Schneider:
Seit dem Verkauf meiner Kanzlei 2009 mache ich ausschließlich Kanzleiberatung. Rückblickend betrachtet – Leben wird ja immer vorwärts gelebt und rückwärts verstanden – war es eine stringente Entwicklung. Ich habe schon bei meinen Mandanten immer die Beraterbrille aufgehabt und die Deklaratorik nur als Grundlage für operative und strategische Entscheidungen meiner Mandanten gesehen. Dabei waren mir individuell zum Menschen passende Lösungen immer wichtiger als der letzte Steuer-Spar-Euro. Durch meine eigene Mitgliedschaft im delfi-net wurde das dann noch verstärkt und so ergab sich der Wechsel fast automatisch. Meinen Titel habe ich dann Ende 2023 endgültig zurückgegeben – und nenne mich jetzt also "Ex-StBin" ;-)

Manuel Maurer:
Einer deiner Coaching-Schwerpunkte ist die Honorarberatung, nach dem Motto "Verdiene endlich, was Du verdienst." Tun sich Steuerberater*innen tatsächlich so schwer damit und woran liegt das?

Cordula Schneider:
Honorar ist nach wie vor ein "ungeliebtes" Thema in Kanzleien. Woran das liegt? Anwälte, die ja von den Leistungen vergleichbar unterwegs sind, setzen die Honorare im Schnitt etwa 30 bis 40 Prozent höher an.

Meine Sicht: Sehr viele Kolleginnen und Kollegen haben das Helfer-Gen. Durch Jahrzehnte lange Indoktrination – leider auch und gerade durch ein sehr veraltetes Berufsrecht – ist das Gefühl, für den Mandanten komplett verantwortlich zu sein und jederzeit schnell (kostenlose) Hilfe zu bieten, stark verankert. Dazu kommt eine Honorar-Rechtsprechung, die über die sogenannte Mittelwert-Priorisierung den Deckungsbeitrag zum Zufall werden lässt. Die jüngere Generation sieht sich endlich mehr als Unterstützer (gegen Honorar).

Manuel Maurer:
Wie gehst du das Problem an?

Cordula Schneider:
In meinen Honorarcoachings geht es tatsächlich neben der praktischen Arbeit an den individuellen Lösungen von Honorarkonzeption, Honorarkalkulation und Honorarkommunikation meist auch um die Haltung: Ich leiste gute Arbeit und daher darf ich auch ein angemessenes Honorar ansetzen.

Manuel Maurer:
Seit geraumer Zeit gibt es ja einen Nachfrageüberhang, was - zumindest theoretisch - automatisch zu steigenden Preisen führt. Zumindest ist das eine gute Ausgangssituation, um an der Schraube zu drehen, oder?

Cordula Schneider:
Ja, die gute Marktsituation mit vielen Mandanten auf Steuerberatersuche hat immerhin in rund 30 Prozent der Kanzleien zu einer deutlichen Honoraranpassung geführt. Das meiste davon hat allerdings nur den Honorarstau von gestern gemildert. Auf Dauer braucht jede Kanzlei ein faires, verursachungsgerechtes Honorar.

Was meinen Kunden wirklich hilft, ist ein Dienstleistungskatalog, der Leistungen und Preise klar definiert. Das zeigt nicht nur den Mandanten, das sie oder er es mit einem professionellen Dienstleister zu tun hat, der seinen Wert kennt. Es hat insbesondere eine Wirkung auf die Kanzlei selbst, die sich in Verhandlungen auf ein klares Konzept stützen kann.

Hört auf, alles selber machen zu wollen.

Manuel Maurer:
Kommen wir langsam zum Ende. Habt ihr für unsere Leser*innen noch einen universellen Tipp für die Kanzleientwicklung 2025?

Angela Hamatschek:
Ha, wenn es den gäbe, würden wir einen Online-Kurs anbieten und für viel Geld verkaufen ;-) Nein, im Ernst: Sich mal einen Tag Zeit nehmen, um über die eigene Kanzlei nachzudenken, ist das wertvollste Geschenk, das man sich machen kann. Ausgangspunkt ist dabei immer: Was will ich und was brauche ich? Wie sieht meine Wunschkanzlei aus, wenn ich mit dem Wissen von heute nochmal bei Null starten könnte? Für welche Mandanten bin ich der oder die richtige? Welche Mitarbeiter brauche ich dafür? Und wie sehen die Prozesse aus?

Cordula Schneider:
E-i-n universeller Tipp ist echt eine Herausforderung, Danke für diese Frage. Es kommt ja sehr auf den Kanzleientwicklungsgrad an. Mein Tipp: Hört auf, alles selber machen zu wollen. Das betrifft sowohl das Steuerrecht, als auch die Umsetzung der Digitalisierung und der Automatisierung. Konzentriert Euch darauf, die notwendigen strategischen Entscheidungen jetzt zu treffen!

Manuel Maurer:
Das sind doch gute Aussichten! Dann danke ich euch für diesen umfangreichen und auch persönlichen Einblick in eure Arbeit und Branchenerfahrung. Die Themen werden uns sicherlich auch 2025 nicht ausgehen!


Weiterführender Link: delfi-net Steuerberater-Netzwerk

 

Manuel Maurer Das Interview führte Manuel Maurer, Herausgeber und Chefredakteur von STB Web (www.stb-web.de). Kontakt auf LinkedIn