30.01.2025 | Fachartikel
Von RA Dennis Hillemann und RAin Tanja Ehls
Die November- und Dezemberhilfen wurden für Unternehmen konzipiert, die durch Lockdown-Maßnahmen erhebliche Umsatzverluste erlitten hatten. Dabei sollten die Hilfen eine Kompensation für Umsatzausfälle leisten und eine Existenzsicherung ermöglichen. Für die Gastronomiebranche waren diese Hilfen besonders relevant. Ein zentrales Problem bei der Gewährung dieser Hilfen ist jedoch die Überkompensation, insbesondere im Zusammenhang mit Umsätzen aus dem Außer-Haus-Verkauf. Der Beitrag informiert dazu, was Steuerberater wissen müssen.
Rückforderungen durch Bewilligungsstellen im Rahmen der Schlussabrechnungen führen häufig zu Unsicherheit und rechtlichen Auseinandersetzungen, die Steuerberater und Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen. Die Autoren berichten nachfolgend aus ihrer Praxis als Anwälte, die schwerpunktmäßig auf diesem Gebiet beraten.
Die Überkompensation entsteht, wenn die Gesamtsumme der November- oder Dezemberhilfen zusammen mit den erzielten Umsätzen während des Förderzeitraums den Umsatz des Vergleichsmonats im Jahr 2019 übersteigt. Die Hilfen wurden auf der Grundlage des Umsatzes von 2019 berechnet, um den Schaden zu kompensieren, den Unternehmen durch Betriebsschließungen erlitten haben. Oftmals wurde durch die Bewilligungsstellen jedoch nicht kommuniziert, dass es diese Überkompensationsthematik geben kann – viele Gastronomen und Steuerberater werden von der Thematik daher überrascht.
Für die Gastronomie wurden dabei folgende Besonderheiten berücksichtigt:
Umsätze aus dem Außer-Haus-Verkauf sollten im Förderzeitraum eigentlich nicht angerechnet werden, da die Gastronomie damit motiviert werden sollte, der Bevölkerung weiter hochwertige Speisen zum Bestellen zur Verfügung zu stellen. Denn im Lockdown durften Restaurants Gäste nicht vor Ort bewirten.
Jedoch wurde in der Praxis festgestellt, dass Außer-Haus-Umsätze, die in Kombination mit den gewährten Hilfen zu einer Überkompensation führen, von den Bewilligungsstellen nachträglich angerechnet werden. Den Autoren liegen Aktenauszüge aus Akten der Bewilligungsstellen vor, die belegen, dass sich die Bewilligungsstellen dieser Problematik offen bewusst waren – sie jedoch zur Vermeidung von Ärger zunächst ignorierten und die Problematik auf die Phase der Schlussabrechnungen verschoben.
Im Rahmen der Schlussabrechnungen kommt es daher nun zu Nachberechnungen der Bewilligungsstellen – und mitunter hohen Rückforderungen mit kurzen Begründungen. Dabei verweisen die Bewilligungsstellen selbst bei sechsstelligen Rückforderungssummen recht pauschal auf den "Sinn und Zweck der Überbrückungshilfen", wonach eine "Überkompensation nie beabsichtigt war". Sogar das EU-Beihilferecht oder Rücksprachen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) werden bemüht, um das unliebsame Ergebnis zu rechtfertigen.
Ein Beispiel aus der Praxis veranschaulicht die Problematik:
Die Bewilligungsstellen rechtfertigen diese Praxis mit dem Sinn und Zweck der November- und Dezemberhilfen:
Die Hilfen sollen eine Existenzsicherung ermöglichen, jedoch keine Gewinne gegenüber der Vorkrisenzeit generieren. Durch die Nichtberücksichtigung der Außer-Haus-Umsätze wäre das Unternehmen besser gestellt als im Jahr 2019, was dem Prinzip der Billigkeitsleistungen widerspräche.
Ins Feld geführt wird der Zweck der Überbrückungshilfen und der November- und Dezemberhilfen, wonach Unternehmen durch diese Hilfen am Ende keinen Gewinn erwirtschaften sollen, der sie besser stehen lässt als 2019. Die Hilfen sollten der wirtschaftlichen Existenzsicherung dienen, jedoch nicht der wirtschaftlichen Besserstellung.
Die Argumentation der Bewilligungsstellen ist jedoch nicht unumstritten. Unternehmen und Steuerberater kritisieren diese Praxis aus mehreren Gründen:
Die Rechtsgrundlage für die nachträgliche Anrechnung der Außer-Haus-Umsätze ist häufig unklar. Viele Unternehmen hatten darauf vertraut, dass diese Umsätze gemäß den ursprünglichen Richtlinien nicht berücksichtigt würden. Manche Bewilligungsstellen haben das Thema frühzeitig aufgegriffen und kommuniziert, schon im Antragsverfahren. Hier mag diese Argumentation entfallen. Andere jedoch, wie etwa das Regierungspräsidium Gießen, haben die Thematik erst im Rahmen der Schlussabrechnungen aufgegriffen und damit das Thema vorher "laufen" lassen. Dabei hatten sie immer, wie sich auch aus Akten ergibt, das Ziel im Blick, die Thematik erst im Rahmen der Schlussabrechnungen "gerade zu ziehen": Unternehmen werden damit Hilfen gewährt nach den Antragsbedingungen, die zum Thema der Überkompensation schwiegen, und darauf vertraut, diese Hilfen behalten zu dürfen. Soll Ihnen das nun nachträglich zum Verhängnis werden?
Die Gastronomiebranche argumentiert, dass der Außer-Haus-Verkauf unter erheblich erschwerten Bedingungen erfolgte und somit nicht vergleichbar mit normalen Umsätzen aus dem Jahr 2019 sei. Dieses Argument kann sich jeder sofort entschließen, der den Lockdown 2020 erlebt hat.
Nun mag es sein, dass so mancher Leser ein "Störgefühl" bei der Gerechtigkeit hat. Warum sollte das Restaurant aus unserem Beispiel in 2020 30.000 Euro mehr verdienen als 2019? Aber dazu gibt es ein entscheidendes Gegenargument: Jeder Gastronom hätte, wenn die Thematik der Überkompensation bekannt gewesen wäre, im November und Dezember 2020 ab einem bestimmten Zeitpunkt schlicht aufhören können, Außer-Haus-Verkäufe anzubieten, weil diese Umsätze sonst seine Hilfen mindern. Hätten wir das gewollt? Es entsteht der Eindruck, die Bewilligungsstellen hätten die Gastronomen im Glauben daran, alles behalten zu dürfen, arbeiten lassen. Ist das gerecht?
Wenn Mandanten Rückforderungsbescheide aufgrund von Überkompensation erhalten, sollten Steuerberater folgende Schritte in Betracht ziehen:
Steuerberater, die ihre Mandanten in diesen Verfahren nicht ordnungsgemäß unterstützen, können sich erheblichen Haftungsrisiken aussetzen:
Wir empfehlen Steuerberatern daher, nicht selbst Widerspruch bzw. Klage gegen Rückforderungsbescheide zu erheben, sondern die Mandanten an erfahrene Anwälte zu verweisen und diese dann mit Zahlen und anderen inhaltlichen Hinweisen zu unterstützen.
Das Thema Überkompensation bei den November- und Dezemberhilfen wird die Gerichte in den nächsten Jahren weiterhin beschäftigen. Steuerberater sollten ihre Mandanten frühzeitig und umfassend beraten, um Rückforderungen rechtzeitig entgegenzutreten und Haftungsrisiken zu minimieren. Eine fundierte rechtliche Prüfung und gegebenenfalls ein Widerspruch oder eine Klage sind in vielen Fällen sinnvoll, um die Interessen der Mandanten zu schützen.
Die Autoren laden Sie ein, "Überbrückungshilfe - Das Netzwerk" beizutreten, eine kostenlose Plattform, die von Rechtsanwalt Dennis Hillemann für einen bundesweiten Austausch über Überbrückungshilfen, Widerspruchs- und Klageverfahren gegründet wurde. Schließen Sie sich dem Netzwerk mit rund 1.000 Steuerberater*innen an unter
www.überbrückungshilfe-netzwerk.de
und nutzen Sie die Möglichkeit, aktuelle Rechtsfragen zu diskutieren und von den Erfahrungen anderer zu profitieren!
Über die Autor*innen:
Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von ADVANT Beiten (www.advant-beiten.com). Tanja Ehls ist ebenso Partnerin der Kanzlei und arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von ADVANT Beiten. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.