27.03.2025 | Interview

»Auch Selbstständige sind Fachkräfte«

Wolters Kluwer Tax & Accounting

Von Manuel Maurer / Interview mit Max Hilgarth, VGSD

Alles blickt nach Berlin. Die Erwartungen der Wirtschaft an die neue Bundesregierung sind hoch. Auch die Selbstständigen, insbesondere die Kleinst- und Soloselbstständigen, hoffen auf bessere Rahmenbedingungen und spürbare Entlastungen. Darüber – und über die Zusammenarbeit mit Steuerberatern – sprachen wir mit Max Hilgarth vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD).

(Foto: © Hero Images / gettyimages)

Manuel Maurer:
Am 8. März 2025 haben Union und SPD die Ergebnisse ihrer Sondierungen vorgestellt. Sie beklagen, dass Selbstständige darin zu kurz kommen, man müsse sie geradezu mit der Lupe suchen. Was vermissen Sie konkret?

Max Hilgarth:
Für Selbstständige ist das Sondierungspapier enttäuschend. Gewünscht haben wir uns vor allem Rechtssicherheit für Auftragnehmer und -geber durch eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens – eine Reform, die den Gesetzgeber kein Geld kostet. Zudem müsste dringend eine faire Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge für Selbstständige erfolgen, die zu vergleichbaren Arbeitnehmern mindestens 20 Prozent mehr Beiträge zahlen, Arbeitgeberanteil berücksichtigt.

Außerdem braucht es in der neuen Regierung Beamte, die speziell für Solo- und Kleinstunternehmen zuständig sind und über entsprechende fachliche Kompetenz verfügen.

Wir vermissen seitens der Politik Wertschätzung und eine positive Erzählung von Gründung und Selbstständigkeit.

Manuel Maurer:
Umfangreicher widmet sich das Sondierungspapier der Fachkräftesicherung. Dabei sind es auch die Selbstständigen, die die Unternehmen unterstützen, jedoch mit zunehmendem Auftragsmangel und Preisdruck kämpfen. Wie hängt das zusammen? Misst die Politik hier mit zweierlei Maß?

Foto: Max Hilgarth, Geschäftsführer beim VGSD (© Fotograf: Thomas Wieland)

Max Hilgarth:
Auch Selbstständige sind Fachkräfte. Als Wissensarbeiter sind wir unverzichtbar für die Digitalisierung und Transformation von Staat und Wirtschaft. Selbstständige spezialisieren sich, werden seltener krank, bilden sich eigenverantwortlich fort und tragen dieses Wissen in Unternehmen und auch Behörden. Ohne externe Unterstützung könnten die meisten innovativen Projekte nicht umgesetzt werden.

Wir vermissen seitens der Politik Wertschätzung und eine positive Erzählung von Gründung und Selbstständigkeit: Nach unseren Umfragen fühlen sich fast neun von zehn Selbstständigen von der Politik nicht respektiert.

Manuel Maurer:
Immerhin sollen Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, ist das nicht ein Fortschritt?

Max Hilgarth:
Nein, einen Fortschritt können wir in der Altersvorsorgepflicht nicht erkennen. Selbstständige konnten auch bisher schon freiwillig in die Deutsche Rentenversicherung einzahlen.

Manuel Maurer:
Haben Sie einen besseren Vorschlag?

Max Hilgarth:
Wir setzen uns für die Einführung eines insolvenz- und pfändungssicheren Altersvorsorgedepots ein. Das sind Sperrdepots, mit denen auf Basis von Wertpapieren eine Altersvorsorge aufgebaut werden kann, über die erst im Alter verfügt werden kann. Dies soll in Form breit diversifizierter ETFs geschehen, die sich durch den Verzicht auf ein aktives Fondsmanagement und niedrige Verwaltungskosten auszeichnen. Diese Form der Altersvorsorge wird von Verbraucherschützern empfohlen und hat sich in vielen anderen Ländern bewährt. 

Manuel Maurer:
Ist die Gestaltung und Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge für Selbstständige, die diese in der Regel komplett selbst tragen, eigentlich fair? Was müsste sich hier ändern?

Selbstständige zahlen mehr und bekommen weniger.

Max Hilgarth:
Das Problem ist nicht, dass die 72 Prozent der Soloselbstständigen, die gesetzlich krankenversichert sind, sowohl den Arbeitnehmer- als auch den Arbeitgeberanteil zahlen – das ist grundsätzlich fair. Aber die Art und Weise, wie ihre Beiträge berechnet werden, ist es nicht.

Manuel Maurer:
Konkret?

Max Hilgarth:
Zum Beispiel gibt es für Selbstständige extrem hohe Mindestbeiträge. Sie müssen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf ein fiktives Einkommen von 1.248 Euro zahlen – auch wenn sie in Gründung oder Teilzeit viel weniger verdienen. Wer nur knapp über die Familienversicherungsgrenze von 535 Euro kommt, zahlt bis zu 50 Prozent seines Einkommens nur allein an die Krankenversicherung. Das hält viele, insbesondere Frauen, davon ab, ihre Erwerbstätigkeit auszubauen.

Und dann ist da noch der Arbeitgeberanteil. Selbstständige zahlen nicht nur den kompletten Sozialversicherungsbeitrag, sondern auch auf den rechnerischen Arbeitgeberanteil noch einmal Beiträge. Ein klassischer Arbeitgeber kann seinen Anteil als Betriebsausgabe absetzen – für Selbstständige geht das nicht. Das führt dazu, dass ihnen bei gleichem Einkommen am Ende rund 10 Prozent weniger bleibt als Angestellten. Hier muss dringend nachgebessert werden.

Manuel Maurer:
Sie kritisieren außerdem, dass Selbstständige auch bei Steuervergünstigungen regelmäßig nicht mitgedacht werden, etwa bei der Inflationsausgleichsprämie oder bei Zuschlägen für Mehrarbeit. Wie könnte das gelöst werden?

Die Lebenswirklichkeit von kleinen Unternehmen und Solo-Selbstständigen wird bisher nicht ausreichend verstanden.

Max Hilgarth:
Die Solo- und Kleinstselbstständigen mit bis zu neun Mitarbeitenden machen fast 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland aus. Zusammen mit ihren Beschäftigten stehen sie für acht Millionen Erwerbstätige, zehnmal so viele wie die Automobilindustrie. Trotzdem fehlt es in der Bundesregierung noch immer an einer eigenen Zuständigkeit für diesen wichtigen Teil der Wirtschaft. Bei einer Vermischung von Zuständigkeiten mit denen für Mittelstand oder schnell skalierenden Start-ups ziehen die kleinen Unternehmen immer den Kürzeren.

Dass die Lebenswirklichkeit und wirtschaftlichen Zusammenhänge von kleinen Unternehmen und Solo-Selbstständigen bisher nicht ausreichend verstanden werden, hat nicht nur die Corona-Krise exemplarisch gezeigt. Wenn beispielsweise die Inflationsausgleichsprämie für Arbeitnehmer in der Regierung beschlossen wird, dann braucht es in diesem Moment auch eine Stimme in der Regierung, die sagt: "Wie könnte die Inflationsausgleichsprämie für Selbstständige aussehen?".

Manuel Maurer:
Wie zufrieden sind Ihre Mitglieder eigentlich mit ihren Steuerberater*innen, sehen sie sich ausreichend beraten und unterstützt in ihrer spezifischen Situation?

Max Hilgarth:
Nicht alle unserer Mitglieder haben das Glück, von einem Steuerberater betreut zu werden. Viele Kanzleien haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht und nehmen keine neuen Mandate an oder selektieren unattraktive Mandate aus. Wir bekommen aber kaum Rückmeldungen von Mitgliedern, die sich unzufrieden über die Zusammenarbeit mit ihrem Steuerberater äußern. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Steuerberatern ist für viele unserer Mitglieder unerlässlich.

Wir hoffen, dass Steuerberater durch den technologischen Fortschritt mehr Zeit für die Beratung ihrer Mandanten aufwenden können.

Manuel Maurer:
Solche Mandate laufen ja meist sehr routiniert. Monat für Monat werden Belege eingereicht, in den Kanzleien verbucht, die Umsatzsteuervoranmeldungen und BWAs generiert. Ist das ausreichend?

Max Hilgarth:
Wir hoffen, dass Steuerberater durch den technologischen Fortschritt mehr Zeit für die Beratung ihrer Mandanten aufwenden können. Dabei sehen wir uns auch als VGSD in der Pflicht, unsere Mitglieder über den Einsatz und Nutzen beispielsweise der E-Rechnungen oder digitalen Buchhaltungssysteme aufzuklären. Wichtig ist dabei die Zusammenarbeit mit dem Steuerberater, die Steuerberater können Selbstständigen dank ihrer Erfahrung wertvolle Impulse geben.

Steuerberater können Selbstständigen dank ihrer Erfahrung wertvolle Impulse geben.

Manuel Maurer:
Was könnten die Steuerberater dennoch besser machen, wo sehen Sie den größten Beratungsbedarf für die Solo- und Kleinstselbstständigen?

Max Hilgarth:
Man kann viel Zeit und auch Kosten sparen, wenn man die Buchhaltung mit dem für sich richtigen Tool erledigt. An der Stelle können Steuerberater effiziente Prozesse mit ihren Mandanten aufsetzen, zum Beispiel mit Lexoffice, WISO MeinBüro oder DATEV Unternehmen online.

Vier Augen sehen bekanntlich auch mehr als zwei. Wenn der Steuerberater die Ziele seiner Mandanten kennt, etwa in welchem Alter der Ruhestand angestrebt und welches Auskommen im Alter benötigt wird, dann kann er auch frühzeitig auf bestehende Defizite hinweisen.

Zur Person:

Max HilgarthMax Hilgarth ist Geschäftsführer beim Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) e.V.(www.vgsd.de)

Manuel Maurer Manuel Maurer ist Herausgeber und Chefredakteur von STB Web, Online-Fachmagazin für Steuerberater (www.stb-web.de). Kontakt auf LinkedIn