22.04.2025 | Analyse/Kommentar

Koalitionsvertrag: Wunschkonzert statt Planung

Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht

SPD, CDU und CSU haben sich am 9.4.2025 auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Zwar sind Koalitionsverträge nie gerichtlich einklagbar, aber eine gewisse Verbindlichkeit sollte ihnen trotzdem zukommen. Die nunmehr zwischen den beteiligten Parteien getroffenen Vereinbarungen im steuerlichen Bereich stellen allerdings eher Absichtserklärungen dar, deren Umsetzung alles andere als sicher ist.

Deckblatt des Koalititionsvertrags
Foto: Deckblatt des Koalititionsvertrags

Der Koalitionsvertrag enthält zahlreiche für staatliche Stellen kostenintensive Maßnahmen; so "sollen" in vielen Bereichen die Steuern zwar gesenkt oder steuerliche Anreize für politisch erwünschte Maßnahmen gewährt werden, jedoch ohne, dass sich die Parteien über die Finanzierung geeinigt hätten. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass die beteiligten Parteien die Frage der Finanzierung bewusst auf später verschoben haben. Dies wird auch dadurch deutlich, dass die allermeisten Vorhaben sogar ausdrücklich unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen. Ob die geplanten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, ist also mehr als ungewiss.

Steuerlich sind folgende Maßnahmen vorgesehen:

AfA für "Ausrüstungsinvestitionen"

Es soll vorübergehend ein sogenannter "Investitions-Booster" gestartet werden, indem für Ausrüstungsinvestitionen eine degressive AfA von 30 Prozent bewilligt wird, die für die Jahre 2025, 2026 und 2027 gelten soll. Eine genauere Eingrenzung, welche Maschinen, Geräte und Fahrzeuge nach welchen Kriterien steuerlich gefördert werden sollen, ist nicht enthalten.

Ab 2028 soll die Körperschaftsteuer von derzeit 15 Prozent schrittweise insgesamt um 5 Prozent gesenkt werden. Zudem soll geprüft werden, ob auch Personengesellschaften und ab 2027 neu gegründete Unternehmen diese Regelungen für gewerbliche Einkünfte in Anspruch nehmen können, d.h. das sogenannte Optionsmodell soll erweitert werden.

Die Nutzung von E-Fahrzeugen sollen durch Sonderabschreibungsmöglichkeiten und der Verlängerung der KfZ-Steuerbefreiung bis 2035 gefördert werden.

Verfahrensrechtlich soll sukzessive die ertragsteuerliche Selbstveranlagung von Körperschaften und Personengesellschaften eingeführt werden.

Steuerfreie Überstundenzuschläge bei Vollzeit

Die Einkommensteuer soll für kleine und mittlere Einkommen in circa zwei Jahren gesenkt werden. Alleinerziehende sollen höhere Entlastungsbeträge erhalten. Mutterschutzregelungen sollen zukünftig auch für Selbstständige gelten. Die finanzielle Schere zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag soll abgebaut werden. Insbesondere soll eine Erhöhung des Kinderfreibetrags automatisch auch eine Erhöhung des Kindergeldes zur Folge haben.

Um Anreize für Mehrarbeit zu setzen, sollen Überstundenzuschläge steuerfrei gestellt werden. Problematisch an dieser Idee im Koalitionsvertrag ist, dass diese Maßnahme nur für Überstunden bei Vollzeit gelten soll; Menschen in Teilzeit werden von dieser Maßnahme nicht erfasst. Dies benachteiligt besonders Frauen, die viel häufiger in Teilzeit tätig sind als ihre männlichen Kollegen. Die Beschränkung auf Vollzeit soll Missbräuchen vorbeugen. Auch wenn dies ein berechtigtes Anliegen ist, ist es bedenklich, wegen Missbrauchsgefahr eine Regelung zu treffen, die einen Großteil weiblicher Beschäftigter ausschließt.

Das politische Ziel, Beschäftigte zu Mehrarbeit zu motivieren, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, kann auch dadurch erreicht werden, Menschen in Teilzeit zu Mehrarbeit zu motivieren. Deshalb sollte diese Maßnahme überdacht und zur Missbrauchsabwehr andere Möglichkeiten genutzt werden.

Steuerfreie Mehrarbeit im Rentenalter

Spannend ist das Vorhaben, dass freiwillig längeres Arbeiten über das gesetzliche Rentenalter steuerlich dadurch belohnt werden soll, dass ein Gehalt von bis zum 2.000 Euro monatlich steuerfrei erzielt werden darf. Bis zu 24.000 Euro im Jahr steuerfrei verdienen zu können, ist außerordentlich attraktiv. Um einem Missbrauch vorzubeugen, soll diese Maßnahme ggf. auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beschränkt werden.

Allerdings besteht der Fachkräftemangel auch im selbstständigen und gewerblichen Bereich. Wer eine Immobilie baut oder renoviert, hat außerordentliche Probleme, Handwerk:innen dafür zu finden. Auch bei Ärzt:innen, Steuerberater:innen oder im selbstständigen Pflegedienst, um nur einige Beispiele zu nennen, zeigt sich schon heute der Fachkräftemangel. Deshalb sollte jegliche Erwerbsarbeit, auch die selbstständige/gewerbliche Tätigkeit in diese Regelung einbezogen werden. Ausdrücklich betont wird, dass möglicherweise diese steuerfrei verdienten Einkommen dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen sind. Damit würde ein Teil der Attraktivität dieser Maßnahme jedoch wieder verloren gehen.

Erhöhung der Pendlerpauschale

Ab 2026 soll bereits ab dem ersten Kilometer eine Entfernungspauschale von 38 Cent in Anspruch nehmen können. Bislang wird dieser Betrag erst ab dem 21. Entfernungskilometer gewährt.

Die Pauschale für Übungsleiter:innen soll auf 3.300 EUR und die Ehrenamtspauschale auf 960 EUR erhöht werden.

Der Solidaritätszuschlag, der für höhere Einkommen zu zahlen ist, bleibt bestehen.

Umsatzsteuer in der Gastronomie

Die Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie soll dauerhaft 7 Prozent betragen. Es bleibt aber bei dem Umsatzsteuersatz für Getränke von 19 Prozent, sodass bei geschäftlich veranlassten Restaurantbesuchen unterschiedliche Umsatzsteuersätze verbucht werden müssen.

Sachspenden an gemeinnützige Organisationen sollen möglichst weitgehend umsatzsteuerbefreit sein.

Die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer soll auf ein Verrechnungsmodell umgestellt werden.

Der Koaltionsvertrag sieht keine Reform es Umsatzsteuerbefreiungsverfahren für Schulen und andere allgemeinbildende Institutionen vor. Dies ist deshalb interessant, weil die Reform des Verfahrens dazu immer wieder Gegenstand von Gesetzesinitiativen war. Hier soll es also bei der bisherigen Regelung (sog. Bescheinigungsverfahren) bleiben.

Änderungen bei der Gemeinnützigkeit

Die Freigrenze des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs für gemeinnützige Vereine soll auf 50.000 Euro erhöht werden. Der Zwang zur zeitnahen Mittelverwendung bei gemeinnützigen Organisatoren soll zukünftig erst bei Einnahmen über 100.000 Euro gelten; das Gemeinnützigkeitsrecht soll insgesamt vereinfacht werden.

Außerdem soll der Katalog der gemeinnützigen Zwecke modernisiert und das Gemeinnützigkeitsrecht vereinfacht werden. Hierzu gehört auch die Gemeinnützigkeitsprüfung für kleine Vereine. Gemeinnützige Organisationen mit Einnahmen bis 100.000 Euro sollen vom Erfordernis einer zeitnahen Mittelverwendung ausgenommen werden. Erzielen gemeinnützige Körperschaften aus wirtschaftlichen Tätigkeiten weniger als 50.000 Euro Einnahmen im Jahr, soll keine Sphärenaufteilung mehr erfolgen müssen, ob diese Einnahmen aus einem Zweckbetrieb oder aus einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stammen.

"Frühstart-Rente"

Ab 2026 soll eine "Frühstart-Rente" eingeführt werden. Für Kinder zwischen 6 und 18 Jahren, die eine Bildungseinrichtung in Deutschland besuchen, sollen monatlich 10 Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot eingezahlt werden. Nach Erreichen des 18. Lebensjahres kann dieser Vertrag weiter durch private Einzahlungen bespart werden. Die Kapitalerträge aus diesem Depot sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei gestellt werden.

Weitere steuerliche Vorhaben

  • Kosten energetischer Sanierungen ererbter Immobilien sollen künftig von der Steuer absetzbar sein.
  • Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften soll durch steuerliche Anreize gefördert werden.
  • Elektroautos sollen noch weitere 10 Jahre, also bis 2035, von der Kfz-Steuer befreit sein.
  • Die Agrardiesel-Rückvergütung soll wieder vollständig eingeführt werden.
  • Auf die verpflichtende Ausgabe von Kassenbons soll verzichtet werden; zugleich soll für Geschäfte mit einem jährlichen Umsatz von über 100.000 EUR ab 2027 eine Registrierkassenpflicht eingeführt werden.
  • An der Mindeststeuer für große Konzerne soll festgehalten werden. Die Arbeiten auf internationaler Ebene für eine dauerhafte Vereinfachung der Mindeststeuer soll unterstützt werden.
  • Eine Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene soll unterstützt werden.
  • Für schnelle Entlastungen um mindestens 5 Cent pro kWh sollen in einem ersten Schritt die Stromsteuer für alle so schnell wie möglich auf das europäische Mindestmaß gesenkt und die Übertragungsnetzentgelte reduziert werden.
  • Bei der steuerlichen Forschungszulage soll der Fördersatz und die Bemessungsgrundlage deutlich angehoben und das Verfahren vereinfacht werden.
  • Die Erhöhung der Luftverkehrsteuer soll zurückgenommen werden.

Fazit: Senkung von Steuereinnahmen

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die geplanten Maßnahmen weitestgehend nicht zu einer Erhöhung, sondern einer Senkung von Steuereinnahmen führen. Die "Frühstart-Rente" oder ein steuerfreies Einkommen für Mehrarbeit im Rentenalter von bis zu 24.000 Euro jährlich werden den Staatshaus finanziell sehr belasten, auch wenn diese Maßnahmen sinnvoll erscheinen.

Priorisierungen von Maßnahmen sind im Koalitionsvertrag nur wenige vorgenommen. Daher wird es in der Koalition, sollten die beteiligten Parteien dem Vertrag tatsächlich zustimmen, darum gehen, die Finanzierung für diese Vorhaben zu organisieren. Ob das gelingt, ist völlig ungewiss. Deshalb drängt sich der Gedanke auf, dass es sich bei den angedachten Massnahmen eher um Wunschdenken der Beteiligten und weniger um tatsächliche Planungen geht.

Schere zwischen Arm und Reich bleibt unangetastet

Der Koalitionsvertrag macht zugleich deutlich, dass (steuerliche) Maßnahmen, die dazu beitragen, die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern, nicht getroffen werden (sollen). Zwar "soll" die Einkommensteuer bei kleinen und mittleren Einkommen gesenkt werden. Diese Senkung, wenn sie denn tatsächlich kommt, wird die höheren Kosten durch die Inflation abdecken, nicht aber dazu beitragen, die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern. Insbesondere sind keine Änderungen bei der Erbschafts- und Schenkungsteuer vorgesehen, obwohl gerade hier ein Hebel bestehen könnte, die Konzentration von Vermögen auf Wenige abzumildern. Vielmehr soll es bei der erbschaftsteuerlichen erheblichen Vergünstigung von Betriebsvermögen bleiben.

Insgesamt bleibt es abzuwarten, welche der – teilweise sehr ambitionierten – steuerlichen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Oder anders ausgedrückt: Es bleibt spannend, welche Maßnahmen tatsächlich von aktuellen Status "soll geändert werden" in den Status "ist geändert worden" wechseln werden.


Autorin:

Susanne ChristSusanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer-, Erb- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Seit Juni 2023 ist sie Sprecherin des Erbrechtsausschusses beim Kölner Anwaltsverein. Daneben ist sie langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der seit 2019 im Nomos Verlag erscheint. E-Mail: s.christ@netcologne.de