26.06.2025 | Fachartikel
Von RA Dennis Hillemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und RAin Tanja Ehls
Die Schlussabrechnungen der Corona-Hilfen treffen die Tourismusbranche besonders hart. Provisionen, Stornierungskosten und Anschubhilfen werden akribisch geprüft. Was Reisebüros, Veranstalter und deren Steuerberater jetzt wissen müssen, um Rückforderungen abzuwehren.
Der aktuelle Stand ist ernüchternd. Viele Schlussabrechnungen von Reisebüros oder Reiseveranstaltern sind noch nicht final bearbeitet. Insbesondere größere Anträge mit sieben- oder achtstelligen Fördersummen scheinen noch nicht von den Bewilligungsstellen angefasst worden zu sein.
Die Schlussabrechnungen gleichen einem neuen Antragsverfahren. Alles wird erneut geprüft, bereits genehmigte Positionen werden in Frage gestellt. Die Detailversessenheit kennt keine Grenzen: Selbst Portobelege über 5,95 Euro werden nachgefordert.
Das zentrale Problem: Die Bewilligungsstellen interpretieren den Vorbehalt der Schlussabrechnung als "Totalvorbehalt". Konkret bedeutet das: Tourismusunternehmen können sich nicht auf bereits geprüfte und bewilligte Förderungen verlassen. Was 2021 als förderfähig galt, kann 2024 plötzlich abgelehnt werden.
Die Gründe für diese rigorose Praxis sind vielschichtig. Viele tourismus-spezifische Rechtsfragen wurden während der Pandemie bewusst offengelassen. In Behördenakten finden sich Vermerke wie: "Das klären wir in der Schlussabrechnung." Hinzu kommt die massive personelle Aufrüstung durch externe Berater, die nun Zeit für kleinteilige Prüfungen haben.
Für die Reisewirtschaft galten besondere Förderregelungen. Zur förderfähigen Zielgruppe gehörten Reiseveranstalter, Reisebüros, Incoming-Unternehmen sowie spezialisierte IT-Dienstleister. Die spezifischen Fördertatbestände werden nun besonders kritisch hinterfragt.
Reisebüros konnten Provisionen und Serviceentgelte für coronabedingt stornierte Reisen geltend machen. Die Bewilligungsstellen verlangen nun gelegentlich detaillierte Nachweise, dass es sich um Reisen handelte, die etwa bei der Überbrückungshilfe III zwischen November 2020 und Juni 2021 hätten angetreten werden sollen. Die Stornierung muss nachweislich erfolgt sein aufgrund von:
Problematisch: Diese Anforderungen wurden teilweise erst nachträglich in die FAQ aufgenommen und werden nun rückwirkend auch auf frühere Förderzeiträume angewendet. Für viele Reisebüros ist es schlicht unmöglich, diese Nachweise Jahre später noch zu erbringen.
Wer aber nicht mitwirkt, dem droht schnell eine Rückforderung unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Rückwirkung. Daher gilt: Zunächst die Mitwirkung versuchen. Erst wenn dies nicht gelingt, sollten rechtliche Argumente ins Feld geführt werden, warum die Anforderungen rechtswidrig sind.
Bei Reiseveranstaltern stehen kalkulierte Margen für stornierte Pauschalreisen sowie Ausfall- und Vorbereitungskosten im Fokus. Ganz neu wird in Frage gestellt, ob Veranstalter sowohl externe Ausfallkosten als auch interne Personalkosten für die Stornierungsabwicklung geltend machen dürfen.
Die FAQ sprechen in Ziffer 2.5 von externen "sowie" internen Kosten – was als "auch" zu verstehen ist. Verweisen Sie daher auf die FAQ bei solchen Nachfragen. Unsere Erfahrung ist, dass die Bearbeiter in den Bewilligungsstellen bei den komplexen Regelungen für die Reisewirtschaft häufig die eigenen FAQ durcheinander bringen.
Zudem müssen Sie sich immer klarmachen: Auf der anderen Seite sitzen nicht notwendigerweise Berater, die das Geschäftsmodell der Touristik verstehen. Erklären Sie dieses. Setzen Sie nicht Wissen um die Geschäftsabläufe der Touristik voraus.
Die Anschubhilfe in Höhe von 20 Prozent der Lohnsumme des Vergleichsmonats 2019 sollte der Touristik den Neustart erleichtern. Doch die Berechnung der Lohnsumme war nie eindeutig definiert. Streitpunkte sind:
Gerade in der Touristik stellen Geschäftsführergehälter oft eine Hauptkostenposition dar. Ihre nachträgliche Aberkennung kann existenzbedrohend sein und verstößt unseres Erachtens gegen den Vertrauensschutz. Hierzu gilt: Einige Bewilligungsstellen lehnen die Berücksichtigung von sozialversicherungsfreien Geschäftsführergehältern konsequent in der Schlussabrechnung ab. Sie seien nicht Teil der Lohnsumme. Gleichwohl gibt es hierzu auch die Argumentation, dass in anderen Rechtsbereichen, etwa im Erbschaftsteuerrecht, die „Lohnsumme“ auch die sozialversicherungsfreien Geschäftsführergehälter umfasst. Wir verweisen daher für Mandanten auf die Einheit der Rechtsordnung und haben dazu auch bereits Klageverfahren anhängig, deren Ausgang offen ist.
Incoming-Agenturen stehen vor besonderen Herausforderungen bei November- und Dezemberhilfen. Die zentrale Frage: Gelten sie als "indirekt über Dritte Betroffene"?
Die Argumente für eine indirekte Betroffenheit liegen auf der Hand: Zwar waren Incoming-Agenturen nicht selbst von Schließungen betroffen, aber Hotels, Restaurants und Veranstaltungsorte – ihre gesamte Geschäftsgrundlage – waren geschlossen. Die Umsatzeinbrüche lagen oft über 80 Prozent.
Die Herausforderungen bei der Nachweisführung sind komplex. Die internationale Dimension erschwert den Nachweis: Die Auftraggeber sind meist ausländische Reiseunternehmen. Zudem argumentieren manche Bewilligungsstellen, deutsche Coronahilfen gälten nicht für Maßnahmen ausländischer Staaten.
Beachten Sie die fundamentalen Unterschiede zum Steuerrecht. Die Fristen sind "hart", d.h. Versäumnis führt nicht zu Säumniszuschlägen, sondern zur vollständigen Rückforderung! Der Zugang beim Steuerberater wird dem Unternehmen zugerechnet.
Erklären Sie das touristische Geschäftsmodell ausführlich. Die Bewilligungsstellen haben oft wenig Branchenkenntnisse. Verdeutlichen Sie die Besonderheiten von Provisionsgeschäft, Veranstaltermargen oder Incoming-Dienstleistungen.
Beantragen Sie bei den üblichen Drei-Wochen-Fristen grundsätzlich Verlängerungen. Nutzen Sie alle Kommunikationswege – auch Eingaben per Post oder Fax müssen im Verwaltungsverfahren berücksichtigt werden.
Prüfen Sie rechtliche Schritte. Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung – bis zur Entscheidung müssen Sie nichts zurückzahlen. Diese Zeit ist wertvoll für die Vorbereitung Ihrer Argumentation.
Ziehen Sie spezialisierten Rechtsrat hinzu. Die Überbrückungshilfen unterliegen dem Verwaltungsrecht, nicht dem Steuerrecht. Viele Steuerberater sind hier überfordert. Bei hohen Rückforderungssummen sollten Ihre Mandanten einen versierten Verwaltungsrechtler einschalten.
Ein Dauerbrenner bei Touristikern ist die Verbundproblematik. Viele Touristikunternehmen sind familiär geprägt – und genau das wird zum Problem. Die Bewilligungsstellen durchforsten Handels- und Transparenzregister, analysieren Webauftritte und hinterfragen familiäre Verflechtungen.
Besonders kritisch: Vermietet ein Familienmitglied eine Immobilie an das Touristikunternehmen, unterstellen Behörden oft einen Unternehmensverbund – selbst bei privater Vermögensverwaltung. Diese Praxis halten wir für verfassungswidrig, da sie Artikel 3 und 6 Grundgesetz verletzt. Hierzu haben wir viel veröffentlicht, auch auf dieser Plattform. Geben Sie hier nicht vorschnell kampflos auf – viele Rechtsfragen sind ungeklärt.
Die Bundesregierung rechnet mit Bearbeitungszeiten bis mindestens 2027 – nur für die außergerichtlichen Verfahren. Die anschließenden Gerichtsverfahren werden uns noch Jahre beschäftigen. Viele tourismus-spezifische Rechtsfragen sind ungeklärt, insbesondere die Reichweite des "Totalvorbehalts".
Für die Liquiditätsplanung bedeutet das: Rechnen Sie nicht mit Nachzahlungen aus den Schlussabrechnungen. Die aktuelle Prüfpraxis zeigt, dass die meisten Touristikunternehmen froh sein können, wenn sie nichts zurückzahlen müssen. Bereiten Sie sich darauf vor, Ihre bereits erhaltenen Förderungen zu verteidigen – mit guten Argumenten und notfalls vor Gericht.
Die Autoren laden Sie ein, "Überbrückungshilfe - Das Netzwerk" beizutreten, eine kostenlose Plattform, die von Rechtsanwalt Dennis Hillemann für einen bundesweiten Austausch über Überbrückungshilfen, Widerspruchs- und Klageverfahren gegründet wurde. Schließen Sie sich dem Netzwerk mit rund 1.000 Steuerberater*innen an unter
www.überbrückungshilfe-netzwerk.de
und nutzen Sie die Möglichkeit, aktuelle Rechtsfragen zu diskutieren und von den Erfahrungen anderer zu profitieren!
Über die Autor*innen:
Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von ADVANT Beiten (www.advant-beiten.com). Tanja Ehls ist ebenso Partnerin der Kanzlei und arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von ADVANT Beiten. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.