27.07.2023 | Kanzleimarketing

Die Buchführung ist tot – lang lebe das Rechnungswesen!

Teletax

Von Angela Hamatschek, Steuerberater-Netzwerk delfi-net

Im Mai 2023 waren Cordula Schneider und ich wieder in London bei der Accountex – Europas führender Messe für Steuerberatungskanzleien mit 260 Ausstellern und über 200 Vorträgen. Ein interessanter und lukrativer Perspektivwechsel zeichnet sich danach im Buchführungsgeschäft ab. Ein näherer Blick darauf lohnt sich.

Angela Hamatschek und Cordula Schneider auf der Accountex 2023 in London
Foto: Angela Hamatschek und Cordula Schneider auf der Accountex 2023 in London.

Ein inhaltlicher Schwerpunkt, der sich durch viele Vorträge bei der Accountex gezogen hat, war das Thema "Compliance" als lukratives Grundlagengeschäft. Wörtlich übersetzt bedeutet das "Einhaltung der Vorschriften" und umfasst im englischsprachigen Raum das, was wir hier in Deutschland am ehesten mit den Vorbehaltsaufgaben meinen, also Buchführung, Jahresabschluss und Steuererklärungen erstellen.

Perspektivwechsel statt Richtungswechsel

Dabei hieß es ein paar Jahre vorher auf der Accountex noch, dass das Buchführungsgeschäft durch digitale Schnittstellen, Automatisierung und Wettbewerb von außen dem Untergang geweiht ist. Steuerberater sollen sich deshalb auf Beratungsthemen konzentrieren und damit neue Geschäftsfelder aufbauen. Das wird ja auch in Deutschland von Kammern, Verbänden und Kanzleiberatern wie uns ;-) schon lange gepredigt und hat nach wie vor seine Berechtigung.

Wie kommt es also zu dem vermeintlichen Sinneswandel? Es ist weniger ein Richtungswechsel als ein Perspektivwechsel. Denn die alte und neue Grundsatzfrage lautet, wie gelingt es Steuerberaterinnen und Steuerberatern aus dem Zahlenwerk der Buchhaltung Beratungsthemen zu generieren.

Das Rechnungswesen ist die Grundlage von allem und aktive Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg.

Ein Steuerberater, der in Südafrika ein Kanzlei-Franchise betreibt, hat es kurz und knackig auf den Punkt gebracht: "Wer sagt, Steuerberater sollen keine Buchhaltung mehr machen, der gehört vom Hof gejagt. Denn die Kernerwartung eines Mandanten, der zum Steuerberater geht, ist 'Er oder sie macht meine Buchhaltung'. Und diese Erwartung nicht zu erfüllen, wäre fatal."

Angela Hamatschek
Foto: Kanzleiberaterin Angela Hamatschek

Entscheidend ist, was Sie mit der Buchhaltung machen. Wie sagt meine Kollegin Cordula Schneider immer so schön: "Die BWA ist nicht das Ergebnis bzw. der Endpunkt der Dienstleistung Buchführung, sondern der Startpunkt."

Das funktioniert natürlich nur, wenn die Auswertungen aktuell und aussagekräftig sind – Stichwort Echtzeitberatung. Digitalisierung, Automatisierung, Schnittstellen und KI machen es heutzutage möglich und aus unserer Sicht nötig, einen Monatsabschluss, statt einer vorläufigen Buchführung zu produzieren.

Kontieren allein reicht nicht, es geht darum, die Zahlen zu analysieren und zu interpretieren und so für den Mandanten einen MehrWert zu generieren.

Wer die Daten hat, hat den Kunden

Es kommt noch ein anderer Aspekt ins Spiel: Wer die Daten hat, hat den Kunden. Wenn wir die Daten der Buchführung komplett aus der Hand geben, dann ist der Kunde möglicherweise auch bald mal weg, denn die betriebswirtschaftliche Beratung kann er sich auch anderswo herholen und wird ja auch von vielen Institutionen und Beratungsfirmen für spezfiische Branchen und Themen angeboten. Solange wir die Daten haben und bewerten können und wissen, was beim Mandanten gerade los ist, haben wir eine hohe Bindung.

Know the numbers – and the person. Die Stärke, die wir oft nicht genug ausspielen: Wir kennen die Zahlen der Mandanten und die Menschen, die dahinterstehen, mit ihren Zielen, Wünschen und Persönlichkeiten. Und genau das ist der Hebel, an dem Sie mit der Buchhaltung ansetzen. Fragen Sie sich immer: Was möchte der Mandant und was bringt das Unternehmen bei seinen Zielen weiter?

Denken Sie zuerst an Ihre bestehenden Mandanten – Kapazitäten für neue Mandanten haben inzwischen die wenigsten Kanzleien – und nehmen Sie das Rechnungswesen als Grundlage, um qualitativ hochwertige Inhalte zu liefern. Was im ersten Moment vielleicht ambitioniert und anspruchsvoll klingt, ist auf den zweiten Blick einfacher als Sie denken.

Die zwei entscheidenden Fragen

Die zwei Fragen, die Ihnen dabei helfen, mit dem Mandanten im Gespräch zu bleiben und sich als Beraterin und Berater zu zeigen, lauten:

  • Was war los?
  • Was hast Du vor?

Dann fängt der Mandant an zu reden und daraus entwickelt sich der gemeinsame Weg und wie Sie ihn dabei begleiten können.

Da kommen dann sicher auch große Themen des Weges wie Rechtsformwechsel, Nachfolge und anderes. Doch Sie verkaufen ihm keine Nachfolgeberatung, sondern während Sie mit ihm darüber reden, kommt der Mandant selbst darauf zu sprechen und fragt, wie Sie ihn dabei unterstützen können. Das ist dann Sogmarketing in seiner besten Form.

"Queen of Profit" – ein Best Practice Beispiel 

Mit diesem Perspektivwechsel hat eine schottische Steuerberaterin Ihre Kanzlei komplett umgekrempelt und macht gleichzeitig Ihr Hauptgeschäft nach wie vor mit Compliance: https://queenofprofit.co.uk/

Wir haben Gloria Murray bereits 2014 bei einem Steuerberater-Kongress in Birmingham getroffen und sie hat in einem Vortrag ihr Erfolgsgeheimnis verraten. Sie hat ihre Mandanten zu Jahresbeginn gebeten, ihre Ziele aufzuschreiben. Und dann angefangen, ihren Mandanten regelmäßig drei Fragen zu stellen: "Was hast Du im letzten Monat getan, um Deine Ziele zu erreichen? Was hat Dich dabei behindert? Was machst Du im nächsten Monat anders oder weiter?"

Mit den aktuellen Monatsauswertungen hatte sie die Grundlage für diese Gespräche und hat ziemlich schnell gemerkt, dass diese Mandanten ordentliche Umsatz- und Gewinnsprünge erzielen. Den Titel "Queen of Profit" hat sie deshalb von ihren Mandanten verliehen bekommen und daraus ihr Erfolgsprogramm als Businessmentorin entwickelt. (Wobei sie im Vortrag meinte, dass einige ihrer Mandanten das auch als Kick-Ass-Beratung bezeichnen ;-)

Damals hatte sie 7 Mitarbeiter beschäftigt, inzwischen werden noch ein paar dazu gekommen sein. Doch das Geschäftsmodell bleibt, das Herzstück ist das monatliche Rechnungswesen.

"Don´t call it Buchhaltung!"

Was sich an diesem Beispiel ebenfalls gut zeigen lässt: die Mandanten gehen nicht zur Steuerberaterin, sondern zur Queen of Profit. Die Bezeichnung macht den Unterschied, denn mit Worten und Begrifflichkeiten setzen wir die Erwartungshaltung.

"Wir machen Buchführung, Jahresabschluss und Steuererklärungen" setzt genau diese Erwartungshaltung und Sie vergeben sich direkt die Chance, als Berater wahrgenommen zu werden. Und natürlich machen Sie faktisch genau das – hier gilt wieder der Satz des südafrikanischen Steuerberaters – doch um sich von der grauen Masse abzuheben, brauchen Sie eine Bezeichnung, die den Nutzen aus Mandantensicht in den Mittelpunkt stellt.

Wie sexy klingt es wohl in Mandantenohren, wenn Sie ihm monatlich eine Standard-BWA zur Verfügung stellen? Was schätzen Sie, wieviel Prozent Ihrer Mandanten, diese Standard-BWA freudig erwartet und regelmäßig rein schaut? Als Antwort bekomme ich immer noch "maximal 10%" zu hören. Mal ehrlich, die Vorstellung, dass Ihre Mandanten Ihr Hauptprodukt nicht einmal eines Blickes würdigen, ist doch massiv frustrierend – und ist einer der Gründe, dass diese Dienstleistung so preissensibel ist. Bei Lexoffice im Monat 19,90 € zahlen oder bei Ihnen 199 € für den gleichen Effekt, dass die Grundarbeit erledigt ist und ich mir die Auswertung nicht anschaue – da komme ich als Mandant durchaus ins Grübeln.

Wie wäre es mit einem monatlichen Erfolgsreport, Unternehmens-Kompass oder Gewinn-Navi? Werden Sie kreativ oder fragen Sie ChatGPT ;-)

Keine Auswertung ohne Kommentar

Entscheidend ist, dass diese Auswertung nicht unkommentiert beim Mandanten landet, sondern von einem schriftlichen oder persönlichen Kommentar begleitet wird. Die Mandanten müssen merken, dass Sie oder die Mitarbeiter sich die Zahlen angesehen haben. Manchmal genügt ein Smiley oder "Schaut gut aus", ein anderes Mal kringeln Sie eine Zahl ein mit Fragezeichen und „Kurz mal besprechen“ und ein anderes Mal melden Sie sich beim Mandanten "Mit ist aufgefallen, dass…" Kennzahlen-Dashboards wie beispielsweise der Cheftresor sind dabei Instrumente, die auch Ihre Mitarbeiter befähigen, diese Gespräche zu führen.

Und wenn Sie Do-It-Yourself Mandanten haben, die mit ihrem eigenen Buchführungssystem arbeiten, lassen Sie sich Zugriff darauf geben – spätestens für den Jahresabschluss brauchen Sie das ja sowieso – und schauen Sie zumindest vierteljährlich auf die Entwicklung (und natürlich auch, ob die Qualität der Buchhaltung für den Jahresabschluss brauchbar ist oder nicht).

Möglicherweise signalisiert der Mandant kein Interesse an solchen Erfolgsgesprächen. Dann machen Sie ihm zumindest klar, dass die Aussagekraft und Belastbarkeit der Zahlen eine wichtige Rolle für die Unternehmensführung spielen, beispielsweise wenn es um Entscheidungen bei Investitionen und Finanzierungen geht und natürlich auch bei der Optimierung der Steuerlast. 

Belegverwaltung und Fristen an den Mandanten delegieren

Buchführung kann weiterhin ein profitables Geschäftsfeld sein. Entscheidend dabei ist, dass der Mandant die Grundlagenarbeit erledigt und die Verantwortung für die Belegverwaltung und Einhaltung der Fristen hat. Mit Tools wie lexoffice, kanzleiland, invoicefetcher & Co. lässt sich das geschmeidig organisieren. In England sind dabei technische Lösungen für Single-Sign-On schwer im Trend, um den Mandanten den Datenaustausch aus den unterschiedlichsten Kanälen und Portalen so einfach wie möglich zu machen. Auch in Deutschland haben wir dazu erste Lösungen bei der StBExpo gesehen.

Steuerhochrechnung als weitere Grunddienstleistung

Eine der Grunderwartungshaltungen der Mandanten, die aus meiner Erfahrung immer noch am wenigsten erfüllt ist, ist die Hochrechnung der Steuerzahlung und der damit verbundenen Anpassung der Vorauszahlungen.

Mandanten fallen aus allen Wolken (und ich spreche aus eigener Erfahrung), wenn sie bei der Fertigstellung des Jahresabschlusses im September erfahren, dass eine 5-stellige Nachzahlung fällig wird. Wenn Sie die laufende Buchhaltung erstellen, sehen Sie bzw. Ihre Mitarbeiter als Erstes, wenn der Gewinn in die Höhe geht. Ein vierteljährliches Steuerradar (natürlich eingepreist) als Bestandteil des Rechnungswesens ist eine der Kerndienstleistungen, mit denen Sie punkten können. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass Sie Gewinnentwicklungen direkt erkennen und wiederum Gesprächsstoff haben, um Ihre Mandanten aktiv anzusprechen.

Womit wir beim abschliessenden Punkt und der Zusammenfassung sind.

Aktive Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg

Papier – ob als Material oder digital – ist bekanntlich geduldig. Der laufende, aktive Kontakt zum Mandanten macht den Unterschied. Dazu haben Sie mit dem Rechnungswesen die perfekte Grundlage.

Und diese Gespräche dauern meistens nur 2 bis 5 Minuten in der Art "Wir haben uns Ihre Auswertung angesehen. Schaut aus unserer Sicht gut aus. Haben Sie Fragen oder können wir noch etwas für Sie tun?" und können beziehungsweise sollten auch von Ihren Mitarbeitern geführt werden.

Und ja, ich weiß, das kostet Zeit. Doch wenn Ihnen (zumindest) Ihre guten Mandanten nicht einmal diese 5 Minuten wert sind, stellt sich die Frage, für wen machen Sie das eigentlich? Für sich, das Finanzamt oder hoffentlich doch, weil Sie Nutzen und MehrWert für den Mandanten stiften wollen.

Auf der Accountex haben wir dazu ein sehr cooles Tool von Wolters Kluwer gesehen „Finsit Analytics“, das KI unterstütze Vorschaurechnungen erstellt und natürlich auch eine Steuer-Hochrechnung im Bauch hat. Wir sind gespannt, wann ein ähnliches Tool im deutschen Markt verfügbar ist.

Impulsvideo "smarte Prozesse"

Tipps und Ideen, wie Sie Ihre Buchhaltungsprozesse so gestalten, dass Zeit für aktive Kommunikation bleibt, erhalten Sie in unserem

Impulsvideo "Smarte Prozesse"

Die Webinaraufzeichnung vom 19. April 2023 können Sie auf unserer Website für 150,00 Euro erhalten. Für delfi-net-Mitglieder ist der Zugang kostenfrei.


Zur Person

Angela Hamatschek Angela Hamatschek ist Kanzleiberaterin und Partnerin des delfi-net Steuerberater-Netzwerk mit rund 90 Kanzleien bundesweit. Bei den "Kanzleioptimisten" hält sie Webinare und Workshops zur Kanzleientwicklung und in ihrem Podcast "Leseoptimistin" bespricht sie regelmäßig Managementbücher.

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 27.07.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.