31.08.2023 | Wirtschaftswissenschaften

Wir müssen ökonomischen Erfolg neu definieren

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Von Prof. Dr. Daniel Deimling *

In den Wirtschaftswissenschaften wird euphemistisch behauptet, die Marktwirtschaft sei ein System der effizienten Ressourcenallokation. Wenn das de facto der Fall wäre, müsste das System besonders gut darin sein, Ressourcen zu schonen und die menschliche Lebensgrundlage zu schützen. Tatsächlich sind alle technischen Versuche, die gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen, bislang gescheitert, der weltweite CO2-Ausstoß steigt kontinuierlich an. Dabei scheitert die überlebenswichtige Systemwende gar nicht an den technischen Möglichkeiten, sie scheitert an den mentalen Infrastrukturen.

Prof. Dr. Daniel Deimling
Foto: © Prof. Dr. Daniel Deimling

Im Jahre 2022 erschien der sechste Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), in dem erstmalig zu lesen war, dass wir das von den Vereinten Nationen vorgegebene Zwei-Grad-Ziel nicht einhalten werden. Nach aktueller wissenschaftlicher Datenlage steuern wir bis Ende des Jahrhunderts auf eine Erderwärmung zu, die zwischen 2,0 Grad und 4,9 Grad liegt. Der Median liegt bei 3,2 Grad. Großräumige Zivilisationen sind bei einer solchen Erderwärmung nicht mehr möglich, die Erde wird für den Menschen weitgehend unbewohnbar.

Alle technischen Versuche, die gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen, sind bislang gescheitert: Trotz aller Innovationen, trotz aller Effizienzsteigerungen, trotz aller Bemühungen, durch nachhaltige Technologien den CO2-Ausstoß zu vermindern, steigt der weltweite CO2-Ausstoß kontinuierlich an. Die empirischen Belege zeigen eindeutig, dass es keine Entkoppelung von CO2-Ausstoß und Wirtschaftswachstum und damit kein grünes Wachstum gibt (wie ich auf STB Web bereits dargelegt habe). Wächst die Wirtschaft, wachsen Ressourcenverbrauch und CO2-Emmissionen.

Einzig in den Jahren 2009 und 2020 ist das weltweite Bruttoinlandsprodukt aufgrund von Wirtschaftskrise respektive Pandemie ausnahmsweise geschrumpft und mit ihm die globalen CO2-Emmissionen. Was für CO2 gilt, gilt auch für alle anderen Ressourcen: Das weltweite Bruttoinlandsprodukt und der globale Ressourcenverbrauch wachsen und schrumpfen parallel. Die Studie Global Resources Outlook der Vereinten Nationen listet den globalen Ressourcenverbrauch sowie die Umweltbelastung durch einzelne Ressourcen und Ressourcengruppen auf. Ob globaler Wasserverbrauch oder Umweltschäden durch den Abbau und die Nutzung fossiler Brennstoffe, nicht-metallischer Mineralien, Metallproduktion oder Phosphatdünger – es ist immer die gleiche Entwicklung: Der Verbrauch sowie die Umweltbelastung jeder einzelnen der untersuchten Ressourcen wächst mit dem Wirtschaftswachstum seit der Jahrtausendwende Jahr für Jahr, außer in den Krisenjahren 2009 und 2020.

Ressourcenschutz als Kennzahl für ökonomischen Erfolg

Das ist eine himmelschreiende Absurdität: Ein Schritt in Richtung Klimaschutz und Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen findet nur statt, wenn sich das System, das dem Zweck dient, Wohlstand zu schaffen, in der Krise befindet. Ist das Wirtschaftssystem gesund, ist der Planet krank, ist das Wirtschaftssystem krank, kann sich der Planet erholen. Das ist umso paradoxer als die Ökonomie in der Wissenschaft als ein Subsystem des Ökosystems klassifiziert wird. Das Subsystem zerstört im Erfolgszustand bzw. das, was wir irrigerweise für den Erfolgszustand halten, das System, dessen Teil es ist. Und damit natürlich langfristig sich selbst. Es ist nicht schwer, eine Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis zu ziehen: Wir müssen neu definieren, was ökonomischer Erfolg ist.

In den Wirtschaftswissenschaften wird euphemistisch behauptet, die Marktwirtschaft sei ein System der effizienten Ressourcenallokation. Wenn das de facto der Fall wäre, müsste das System besonders gut darin sein, Ressourcen zu schonen und die menschliche Lebensgrundlage zu schützen. Wenn das Ziel der Marktwirtschaft, wie in jedem VWL-Einführungsbuch behauptet wird, tatsächlich die langfristige Bedarfsdeckung mit dem geringstmöglichen Ressourceneinsatz wäre, dann müsste der Ressourcenschutz eine Kennzahl für ökonomischen Erfolg sein. Als Konsequenz dieser Überlegungen sollten wir zukünftig nicht mehr jedes Jahr ausrechnen, wie viel wir produziert haben, sondern wie viele Ressourcen wir geschützt und welche Umweltmedien wir in welcher Weise geschont haben.

Die erforderlichen Einsparungen sind nicht innerhalb der gegenwärtigen ökonomischen Strukturen machbar.

Wenn es keine technischen Lösungen für unsere Nachhaltigkeitsprobleme gibt, kann nur ein Pfadwechsel das Überleben der Menschheit sichern. Dieser Pfadwechsel beinhaltet eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum und eine weit reichende Deindustrialisierung. Stoppen können wir den Klimawandel laut den Vereinten Nationen nur, wenn die Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen um 95 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. So steht es in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), die Deutschland ratifiziert hat. Der Pro-Kopf-Verbrauch an CO2-Äquivalenten muss laut UNFCCC weltweit unter 2,5 Tonnen pro Jahr und Person sinken. Deutschland hat sich verpflichtet, dieses Ziel einzuhalten. In Deutschland emittieren wird durchschnittlich pro Jahr und Person etwa 10 Tonnen CO2-Äquivalente. Das heißt, dass wir unseren Konsum, quer durch alle Bereiche, um 75 Prozent senken müssen.

Das Ausmaß der erforderlichen Einsparungen – 95 Prozent bei der Produktion und 75 Prozent beim Konsum – lässt deutlich werden, dass dies nicht innerhalb der gegenwärtigen ökonomischen Strukturen machbar ist. Was für eine solche Reduktion erforderlich ist, war auf Zeit online zu lesen: „In einer 1,5-Grad-Welt gibt es keinen Platz für Öl und Gas.“ Laut einer Studie des Zentrums für Transformation der Bundeswehr hängen 95 Prozent aller industriell gefertigten Produkte vom Erdöl ab (andere Studien kommen sogar auf einen Wert von 97 Prozent). Das Industriesystem benötigt also für quasi jedes Produkt Erdöl. Wenn es in einer Welt, die den Klimawandel noch rechtzeitig stoppen möchte, keinen Platz mehr für Erdöl gibt und fast jedes Industrieprodukt auf Erdöl angewiesen ist, ist Deindustrialisierung nichts anderes als die unvermeidliche Konsequenz.

Reduktion der industriellen Massenproduktion

Trotz dieser simplen Kausalität ist die Vorstellung einer Reduktion der industriellen Massenproduktion unter Ökonomen ebenso wie Degrowth ein völliges Tabu. Nimmt man die Begriffe Deindustrialisierung oder Degrowth in den Mund, kommen stets reflexartig epische Verarmungsszenarien. Diesem Reflex liegt ein fundamentales Missverständnis zu Grunde: das Missverständnis, dass die industrielle Massenproduktion ein effizientes Versorgungssystem sei. Das Gegenteil ist der Fall: Unser heutiges Industriesystem ist in hohem Maße ineffizient, verschwenderisch und ökonomisch unvernünftig.

Dem Argument, dass nur die industrielle Massenproduktion in der Lage sei, die Menschheit zu versorgen, hält der Ökonom und Nobelpreisträger Leopold Kohr entgegen, dass Güter aus Werkstättenherstellung (so nennt er die Alternative) eine viel höhere Qualität und Lebensdauer haben, als Produkte aus Massenproduktion. Deshalb brauche der moderne Mensch eine viel höhere Anzahl von einem Gut, um ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen. Die Massenproduktion bringe zwar mehr Waren hervor, so Kohr, aufgrund der minderwertigen Qualität und der kurzen Lebensdauer bedeute dies jedoch nicht das Erlangen eines höheren Lebensstandards. Kohr ist überzeugt davon, dass die Qualität, die durch Werkstättenherstellung entsteht, die quantitative Leistungsfähigkeit der Massenproduktion vollkommen überflüssig macht.

Über die Hälfte der weltweiten Massenproduktion von Kleidung wird direkt für die Müllkippe produziert.

Ein Beispiel von Kohr sind Schuhe: Während in früheren Zeiten Schuhe in Werkstätten auf eine Art und Weise produziert wurden, dass sie ein Leben lang getragen werden konnten, werden heute milliardenfach billige Treter hergestellt, die nach ein bis zwei Jahren kaputt sind und weggeworfen werden. Jährlich werden über 20 Milliarden Paar Schuhe produziert. In den Industrieländern beträgt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Schuhen vier bis fünf Paare. Allein in Deutschland werden jedes Jahr über 380 Millionen Paar Schuhe weggeschmissen, das sind fast fünf Paar Schuhe pro Person. Wir verschwenden im globalen Maßstab Ressourcen und Energie, um eine absurde Menge minderwertiger Produkte herzustellen, die nach kurzer Zeit im Müll landen. Diese Form der Industrie dient keineswegs dazu, unsere Versorgung langfristig effizient sicherzustellen.

Bleiben wir bei der Bekleidungsindustrie: 60 Prozent der Kleidungsstücke, die jedes Jahr weltweit produziert werden, werden niemals getragen, sondern ungetragen entsorgt. Das muss man sich einmal vor Augen führen: Über die Hälfte der weltweiten Massenproduktion von Kleidung wird direkt für die Müllkippe produziert und nimmt noch nicht einmal mehr den Umweg über den Konsumenten. Von den 40 Prozent, die den Weg zum Konsumenten noch finden, werden weitere 20 Prozent nie getragen. Ein weiterer signifikanter Teil der Kleidung landet innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Kauf im Müll.

Dabei ist die Herstellung von Kleidung besonders ressourcen- und energieintensiv.

Der Begriff der Wegwerfgesellschaft ist keineswegs eine Übertreibung, sondern eine adäquate Zustandsbeschreibung unserer Ökonomie. Dabei ist die Herstellung von Kleidung besonders ressourcen- und energieintensiv. Die Produktion eines Kilogramms Baumwollfasern verschlingt etwa 25.000 Liter Wasser. Besonders problematisch daran ist, dass Baumwolle in Weltregionen angebaut wird, in denen Wasser ohnehin knapp ist, was zu verschärfter Wassernot führt. Der Einsatz von synthetischen Düngemitteln bewirkt eine Versalzung der Böden. Zudem werden im Baumwollanbau 25 Prozent der weltweit eingesetzten Pestizide und 10 Prozent der weltweit eingesetzten Insektizide ausgebracht. Der Einsatz der Agrochemie führt zu Einträgen toxischer Substanzen in Böden und Gewässern und damit zu massiven Umweltschäden. Und das alles, um Produkte herzustellen, die auf den Müllhalden der Industriegesellschaft landen. Niemals wurde diese Absurdität schnörkelloser formuliert als von Ludger Lütkehaus:

„Nach den Gesetzen einer nemesis oeconomica überschwemmt eine Sintflut massenhafter Billigprodukte die ohnehin schon saturierte Welt. Gründlichere Formen der Entsorgung des Zuviel sind unter diesen Umständen gefragt (…). Mit der unmittelbaren Produktvernichtung überspringt sie gleich das prinzipiell überflüssige Stadium des Konsums von Überflüssigem. Ohne das Ritardando irgendeines Gebrauchs und Nutzens wandert die Ware unverzüglich auf jene Müllhalden, die die Friedhöfe des Zuviel sind.“

Die Ausblendung der ökologischen Schäden ist eine in den Grundlagen der BWL angelegte gigantische Bilanzfälschung.

Der Ökonom Ernst Friedrich Schumacher schrieb im Jahre 1973, der größte Irrglaube der Ökonomen sei, dass das Problem der Produktion durch das moderne Industriesystem gelöst sei. Dieser Irrglaube resultiere aus einer fehlerhaften Unterscheidung von Ertrag und Kapital. Es werde außer Acht gelassen, dass der Ertrag auch aus der Nutzung von unersetzlichem Naturkapital resultiere, das der Mensch nicht selbst geschaffen, sondern vorgefunden habe. Dieses von der Natur zur Verfügung gestellte Kapital würde von den Unternehmen in beunruhigender Geschwindigkeit unwiederbringlich aufgezehrt. Das moderne Industriesystem lebe von unersetzlichem Kapital, das es sorglos als Ertrag behandele.

Schumachers Ausführungen lassen sich mit aktuellen Zahlen exakt beziffern: Die externalisierten Kosten der Umweltzerstörung der knapp 2.500 Unternehmen, die im MSCI All Country World Index gelistet sind, liegen bei 50 Prozent der erwirtschafteten Erträge. Das heißt, für jeden Euro, der von diesen Unternehmen erwirtschaftet wird, wird irreversibel Naturkapital im Wert von 50 Cent zerstört (vgl. hier). Die Ausblendung der ökologischen Schäden, die durch die unternehmerische Gewinnerzielung entstehen, ist eine in den Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre angelegte gigantische Bilanzfälschung. Wir sehen nur den monetären Ertrag, nicht jedoch die ökologischen Folgekosten. Die Natur geht uns durch das moderne Industriesystem Stück für Stück aus und wir leben in der Wahnvorstellung, dass wir als Gesellschaft reicher werden.

Die Idee der Industrialisierung ist, isoliert betrachtet, schlüssig: Es wird viel produziert mit wenig menschlicher Arbeitskraft. Der ökonomische Kontext, die externen Effekte und die strukturellen Folgen der industriellen Massenproduktion dürfen aber nicht außer Acht gelassen werden.

Ein Beispiel: In den sechziger Jahren wurde die so genannte »Grüne Revolution« propagiert. Kern der Grünen Revolution war die Industrialisierung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern mit dem Ziel der Effizienzsteigerung sowie der Steigerung der Erträge. Viele Entwicklungsländer begannen damit, im großen Maßstab Saatgut, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel und Landmaschinen zu importieren und industrialisierten die Landwirtschaft. Die direkte Folge war die Zerstörung der kleinbäuerlichen Strukturen, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts die lokale Selbstversorgung sichergestellt hatten und Grundlage einer stabilen Ernährungssituation waren. Zudem wurde ein Großteil der Landbevölkerung arbeitslos, was zu einer massiven Landflucht und zur Entstehung von Slums in Großstädten führte. In Indien arbeiteten vor der Grünen Revolution 90 Prozent der gesamten Bevölkerung in der Landwirtschaft, danach nur noch ein Bruchteil. Die Zahl der Menschen, die in Slums endeten, verdreifachte sich durch die Grünen Revolution, die Zahl der Hungernden stieg weltweit von 80 Millionen auf 800 Millionen. In Gebieten, in denen kleinbäuerliche Strukturen und Subsistenzwirtschaften erhalten geblieben sind und die Landwirtschaft nicht industrialisiert wurde, können sich die Menschen nach wie vor selbst versorgen. Obwohl beispielsweise Medak eine der ärmsten Regionen Indiens ist, gibt es dort trotz Dürreperioden keine Hungersnot, weil in kleinbäuerlichen Strukturen alte, einheimische, trockenstressresistente Sorten für die lokale Versorgung angebaut werden (ganzer Absatz vgl. hier).

Für eine Handvoll internationaler Konzerne war das Ganze durchaus "effizient".

Das Beispiel der Grünen Revolution zeigt, dass nichtindustrielle Systeme der Garant für die resiliente Versorgungssicherheit sein können. Betrachtet man den Gesamtkontext, hat die industrielle Massenproduktion keineswegs zu einer besseren Versorgungslage für die Menschen in den Entwicklungsländern geführt. Der Begriff effizient wird stets verwendet, ohne dass die Frage gestellt wird: Effizient für wen und für wen nicht? Die Landwirtschaft effizienter zu machen, bedeutete im Falle der Grünen Revolution, Menschen durch Maschinen zu ersetzen und durch den Einsatz von synthetischen Düngern, chemischen Pflanzenschutzmitteln und künstlicher Bewässerung in Monokulturen ökologische Folgekosten auf die Gesellschaft abzuwälzen. Gewinner war eine Handvoll internationaler Konzerne für die das Ganze durchaus »effizient« war.

Wir müssen nicht bis nach Indien schauen, um die Probleme der industriellen Landwirtschaft zu sehen. Die Jahre 2018, 2019, 2020 und 2022 waren in Deutschland so genannte Dürrejahre. Synthetische Dünger, die in Form von Nährsalzen ausgebracht werden, werden von Pflanzen nur aufgenommen, wenn genügend Wasser vorhanden ist. Sind die Böden trocken und gibt es keinen Niederschlag, bleibt der ausgebrachte Mineraldünger an der Bodenoberfläche und die Nährstoffflüsse kommen zum Erliegen.

Wir müssen nicht bis nach Indien schauen, um die Probleme der industriellen Landwirtschaft zu sehen.

Dies führte in Deutschland in den letzten Jahren zu massiven Ernteausfällen. Und der Mineraldünger trägt zur Trockenheitsproblematik auch noch selbst bei: In der Zeitschrift Nature wurde eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kommt, dass der Einsatz von Mineraldüngern den Bodenwassergehalt verringert – je nach Düngereinsatz um bis zu 54 Prozent. Synthetische Düngemittel verschärfen die Wasserknappheit, die auch in Europa immer bedrohlicher wird. Alle synthetischen Dünger und alle chemischen Pflanzenschutzmittel sind erdölbasiert und es werden große Mengen Gas zu ihrer Herstellung benötigt. Berücksichtigt man den ressourcen- und energieintensiven Input, den die industrielle Landwirtschaft benötigt, sowie die immensen externen Kosten, also die ökologischen Schäden, die durch sie verursacht werden, ist dies keine effiziente Form der Produktion und sie wird auch nicht gebraucht, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Wenn man den benötigten Input miteinbezieht und zum Ertrag ins Verhältnis setzt, ist ökologischer Landbau, empirisch belegt, effizienter als industrielle Landwirtschaft – laut Rudolf Bühler, Gründer der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall, sogar um den Faktor 4.

Ökonomie bedeutet Haushaltung

Ökonomie bedeutet Haushaltung, vernünftiges haushalten bedeutet, sparsam mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen und sie sinnvoll und rational einzusetzen. Lebten alle Menschen wie die Deutschen, bräuchten wir nach aktuellem Stand die Ressourcen von 5,46 Erdbällen. Das ist nicht ökonomisch, sondern maßlos. Das Umweltbundesamt kommt in einer 2019 veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis, dass die Lebensdauer der meisten Gebrauchsgüter in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen ist. Was für eine Absurdität: Die Industriegesellschaft nutzt ihr Knowhow nicht, um die Gebrauchsgegenstände besser und langlebiger zu machen, sondern um sie zu verschlechtern. In Anbetracht dieser Ressourcenverschwendung von einer »Ökonomie« zu sprechen, ist beinahe eine Anmaßung. Dysökonomie oder Anökonomie wären die passenden Begriffe.

Gesellschaftliche Versorgung versus unternehmerische Gewinnerzielung

In ökonomischen Kontexten muss von der Versorgungsseite her gedacht werden. Das Ziel muss sein, gesellschaftlich notwendige Bedürfnisse langfristig mit der geringsten Menge an Ressourcen, Energie, Abfall und Emissionen zu befriedigen. Das moderne Industriesystem ist meilenweit von diesem Ziel entfernt, es ist weder effizient noch zweckdienlich für die gesellschaftliche Versorgung. Die Bekleidungsindustrie ist symptomatisch für die Industriegesellschaft: In einem ressourcen- und energieintensiven Produktionsprozess mit teilweise verheerenden ökologischen Folgen werden kurzlebige Produkte hergestellt, die entweder direkt oder nach kurzer Zeit vernichtet werden. Diese Form der Massenproduktion ist verschwenderisch und vollkommen ungeeignet, um die langfristige Bedarfsdeckung mit dem geringstmöglichen Ressourceneinsatz sicherzustellen. Sie dient nicht zuvörderst der gesellschaftlichen Versorgung, sondern der unternehmerischen Gewinnerzielung. Wenn das moderne Industriesystem nicht der Versorgung dient, können aus einer Deindustrialisierung auch keine Versorgungsprobleme resultieren. Degrowth und Deindustrialisierung bedeuten kein globales Massensterben (wie die Mehrzahl der Ökonomen insinuiert), sondern sind im Gegenteil die Conditio sine qua non für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage und der Versorgungssicherheit.

Kohle und Öl müssen zukünftig im Boden bleiben

Eine Energie- und Ressourcenwende, die die Bewohnbarkeit des Planeten und damit das Überleben der Menschheit sichert, bedingt, wie eingangs beschrieben, dass Kohle und Öl zukünftig im Boden bleiben. Dies wiederum bedeutet zwangsläufig das Ende des ökonomischen Systems, wie wir es kennen. Eine zukunftssichernde Energiewende ist daher gezwungenermaßen eine Systemwende. Ohne Öl und Kohle wird es keine industrielle Massenproduktion mehr geben. Das heißt aber nicht, dass wir alle „postindustrielle Bauern, Viehzüchtern und Pilzsammler“ werden. Es bedeutet, dass notwendige Güter in Unternehmen und Werkstätten unter erhöhtem Einsatz menschlicher Arbeitskraft und vermindertem Einsatz von Energie und Material so produziert werden, dass sie Bedürfnisse möglichst dauerhaft befriedigen.

Qualität heißt langlebig und reparaturfähig

Die Produktion der Waldviertler Schuhwerkstätten ist, um zu Leopold Kohrs Beispiel der Schuhe zurückzukehren, ein geeignete Blaupause hierfür. Ein solches Produktionssystem lässt die Massenfertigung, die ohnehin hauptsächlich für die Müllhalde produziert, obsolet werden. Das Ziel der langfristigen Güterversorgung bei gleichzeitiger Ressourcenschonung gebietet es, dass Gebrauchsgüter jenseits der industriellen Massenproduktion in hoher Qualität maximal langlebig und reparaturfähig hergestellt und alle externen Kosten berücksichtigt werden. Das übergeordnete Ziel muss sein, die Befriedigung von vorhandenen Bedürfnissen kollektiv auf die ressourcenschonendste Weise zu organisieren. Dies bedeutet auch, kleinteilige ökonomische Strukturen, regionale Wertschöpfungsketten und die lokale Selbstversorgung zu fördern. Diese überlebenswichtige Systemwende scheitert nicht an den technischen Möglichkeiten, sie scheitert an den mentalen Infrastrukturen.

* Über den Autor:

Prof. Dr. Daniel DeimlingDr. Daniel Deimling ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Nachhaltigkeitsforscher. Er tritt für eine integrative Wirtschaftsethik ein.

 

 

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 31.08.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.