19.10.2023 | Fachartikel

Rückforderung von Überbrückungshilfen: Warum der Vertrauensschutz eine Rolle spielt

Teletax

Von RA Dennis Hillemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und RAin Tanja Ehls

Viele Unternehmen, die schon eine Schlussabrechnung für die gewährten Finanzhilfen eingereicht haben, erhalten plötzlich Rückforderungsbescheide. Seitens der Bewilligungsstellen zeichnet sich eine harte Praxis ab. Doch so einfach ist die Rückforderung für den Staat nicht. Auch der Vertrauensschutz spielt hier eine Rolle. Dieser Artikel diskutiert dessen Bedeutung im Kontext der Corona-Überbrückungshilfen. Er gibt praktische Tipps für Steuerberater*innen und Unternehmen zum Umgang mit Rückforderungen.

RA Dennis Hillemann
Foto: RA Dennis Hillemann
RAin Tanja Ehls
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Die Bundesregierung hat für die Überbrückungshilfen einen Teil des Bundeshaushalts freigeschaltet, den die Bewilligungsstellen nach § 53 Bundeshaushaltsordnung (BHO) oder der jeweils geltenden Landeshaushaltsordnung (LHO) als sogenannte Billigkeitsleistungen verteilen konnten. Der Bund hat für die Verteilung der Mittel eine Vielzahl von Programmen aufgelegt, darunter die Überbrückungshilfen I, II, III, III Plus und IV. Antrag und Bewilligung der Hilfen erfolgte in Verwaltungsverfahren, für die (auch) das Verwaltungsverfahrensrecht Anwendung findet.

Diese fördermittelrechtliche Logik ist wichtig - denn damit wurden die Überbrückungshilfen in einem Verwaltungsverfahren mittels Bescheid gewährt. Das ist nicht selbstverständlich - es gäbe auch die Möglichkeit von Zuwendungsverträgen. Dieser Weg wurde aber nicht gewählt. Damit gilt also zunächst: Die Bewilligung der Überbrückungshilfen, aber auch deren Rückforderung, müssen sich an den Regeln des Verwaltungsrechts messen lassen.

Die Bedeutung der FAQ

Maßgeblich für die Verteilung der Mittel waren bestimmte Kriterien. Die Kriterien waren in den jeweiligen FAQs zur "Corona-Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen" festgelegt. Diese FAQs dienten als Richtlinie für die Bewilligung der Mittel und enthielten Informationen über die Antragsberechtigung, die Fördersummen, die Antragsfristen und vieles mehr. Sie waren bundeseinheitlich ausgestaltet - ein wichtiger Aspekt heute.

Trotz der klaren Anweisungen in den FAQs gab es jedoch in der Praxis viele Unsicherheiten und Missverständnisse. Es haben sich unterschiedliche Verwaltungspraxen der Bewilligungsstellen herausgebildet. Manchmal wurde die Verwaltungspraxis auch nachträglich geändert. Das spielt nun im Rahmen der Schlussabrechnungen eine Rolle: Denn obwohl sich Antragsteller und Steuerberater an die FAQ zur damaligen Rechtslage gehalten haben, soll nun eine Rückforderung erfolgen. Grund: Die Verwaltungspraxis habe sich eben geändert. Auf die FAQ und den Bestand der Förderung dürfe niemand vertrauen. Zu Recht?

Das Prinzip des Vertrauensschutzes

Bevor wir uns spezifisch den Überbrückungshilfen widmen, ist das allgemeine Prinzip des Vertrauensschutzes zu erläutern.

Das Prinzip des Vertrauensschutzes ist ein grundlegendes Prinzip des deutschen Rechts und des öffentlichen Rechts im Allgemeinen. Es besagt, dass Bürger darauf vertrauen können sollten, dass staatliche Maßnahmen stabil und konsistent sind und dass sie durch plötzliche und unerwartete Änderungen der Politik nicht unzumutbar belastet werden.

Der Vertrauensschutz ist im deutschen Verwaltungsrecht fest verankert und hat seine Wurzeln im allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, aus dem sich ein Anspruch auf gleichmäßige Behandlung aller Bürger ergibt. In der Rechtsprechung wird der Grundsatz des Vertrauensschutzes häufig im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip gesehen, das die Berechenbarkeit staatlichen Handelns und die Sicherheit der Rechtsordnung sicherstellen soll.

Der Vertrauensschutz spielt insbesondere in Fällen eine Rolle, in denen der Staat zuvor getroffene Entscheidungen ändert oder rückgängig macht. In solchen Fällen muss der Staat das berechtigte Vertrauen der Bürger in die Beständigkeit der getroffenen Regelung berücksichtigen und darf ihre Rechte nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen.

Vertrauensschutz auch bei Überbrückungshilfen?

Im Kontext der Corona-Überbrückungshilfen wirft das Prinzip des Vertrauensschutzes eine Reihe von Fragen auf. Insbesondere stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Bewilligungsstellen an ihre ursprünglichen Förderzusagen gebunden sind und ob sie diese Zusagen nachträglich ändern oder zurücknehmen können.

Die Bewilligungsstellen sind der Meinung: Es gibt im Kern keinen Vertrauensschutz. Niemand könne darauf vertrauen, dass die Überbrückungshilfen erhalten bleiben, und zwar im Kern aus drei Gründen:

  • Grund 1: Die FAQ zu den Programmen sowie auch die Bescheide bestimmen ausdrücklich: Ein Anspruch auf Förderung bestehe nicht. Dann könne aber, so die Bewilligungsstellen, auch kein Anspruch bestehen, die erhaltene Förderung nicht zurückzahlen zu müssen.
  • Grund 2: In den positiven Bescheiden finden sich mehrere „Totalvorbehalte“, die mehr oder minder ausdrücklich regeln: Es gibt keinen Vertrauensschutz zu den gewährten Hilfen. Insbesondere könne im Rahmen der Schlussabrechnung noch einmal alles - Sachverhalt wie Recht - grundlegend geprüft und neubewertet werden. Jede Förderung sei nur vorläufig unter dem Vorbehalt der Totalrückforderung gewährt.
  • Grund 3: Der Grundsatz einer sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln sowie der Gleichförmigkeit der Verwaltungspraxis gebiete es, alle Unternehmen gleich zu behandeln, und bei vergleichbaren Sachverhalten, bei denen ein Unternehmen (später) keine Förderung bekam, auch dem geförderten Unternehmen wieder die Förderung zu entziehen.

Noch gibt es keine Rechtsprechung, insbesondere nicht des Bundesverwaltungsgerichts, die diese Gründe abschließend geprüft hat.

Doch gilt kein Vertrauensschutz? Ein zentrales Problem in diesem Zusammenhang ist die Frage, was die Unternehmen im Zeitpunkt der Beantragung der Überbrückungshilfen vernünftigerweise erwarten konnten. Wenn die Unternehmen auf der Grundlage der damals geltenden Regeln und Informationen vernünftigerweise davon ausgehen konnten, dass sie die Überbrückungshilfen erhalten und behalten können, dann könnte das Prinzip des Vertrauensschutzes eine nachträgliche Änderung oder Rücknahme der Förderzusagen verbieten.

Ansatzpunkt für eine Gegenargumentation

Das ist der entscheidende Ansatzpunkt für eine Gegenargumentation - die sicherlich in den vielen zu erwartenden Rückforderungsverfahren eine große Rolle spielen wird. Und hier spielen die FAQ eine entscheidende Rolle: Sie waren die Informationen, auf die die Unternehmen und die prüfenden Dritten vertrauen mussten, an denen sie die Anträge ausrichten mussten und konnten, und auf deren Richtigkeit und Verbindlichkeit jedenfalls im Antragszeitraum die Unternehmen setzen mussten. Diese FAQ dann nachträglich für gegenstandslos oder jedenfalls nachträglich veränderbar zu Lasten der Unternehmen zu erklären - das ist aus unserer Sicht mit dem oben dargestellten Grundsatz des Vertrauensschutzes als elementarer Bestandteil unseres Rechtsstaats nicht vereinbar. Das wird die Kernfrage der gerichtlichen Prüfung sein.

Wichtig ist daher: Wenn Sie die früheren Versionen der FAQ gespeichert haben, nutzen Sie diese für die Argumentation, um Rückforderungen und Änderungen der Verwaltungspraxis entgegenzutreten. Sollten die prüfenden Dritten diese nicht mehr haben, gibt es auch die Steuerberaterkammern, die hier gegebenenfalls weiterhelfen können.

Wir selbst haben im Übrigen mit einem Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die Übersendung aller FAQ-Versionen erreicht, dürfen diese jedoch nach den uns auferlegten Bedingungen im zugehörigen Bescheid nicht extern weitergeben oder breit zur Verfügung stellen. Wenn es daher auf frühere Versionen ankommen sollte aus Ihrer Sicht, könnten Sie auch mit einem solchen IFG-Antrag arbeiten.

Der Vertrauensschutz ist nicht absolut

Zwar ist zu beachten, dass der Vertrauensschutz nicht absolut ist. Er muss gegen andere öffentliche Interessen, insbesondere das Interesse an einer effizienten und gerechten Verteilung der öffentlichen Mittel, abgewogen werden. Zudem kann der Vertrauensschutz nur dann eingreifen, wenn das Vertrauen der Unternehmen in die Beständigkeit der Förderzusagen schutzwürdig ist. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn die Unternehmen aufgrund der Förderzusagen erhebliche Investitionen getätigt oder andere bindende Verpflichtungen eingegangen sind. Doch genau das haben viele Unternehmen getan: Sie haben keine Arbeitsplätze abgebaut, sie haben ihre Angebote erhalten, ausgebaut, modernisiert oder digitalisiert - und genau das sollten sie mit den Überbrückungshilfen auch gerade. Hieraus leitet sich - so jedenfalls unsere Ansicht - der Vertrauensschutz ab.

Insgesamt ist die Frage, ob und inwieweit der Vertrauensschutz die Rückforderungen der Corona-Überbrückungshilfen begrenzt, eine komplexe und umstrittene Frage, die eine sorgfältige rechtliche Prüfung erfordert. In jedem Fall sollten die Bewilligungsstellen bei der Beurteilung und Durchführung der Rückforderungen das Prinzip des Vertrauensschutzes berücksichtigen und die Rechte und Interessen der Unternehmen angemessen schützen.

Die Folgen von Rückforderungen

Die Rückforderung der Corona-Überbrückungshilfen hat erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Folgen für die betroffenen Unternehmen. Diese Folgen hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab, darunter die genauen Umstände der jeweiligen Förderzusage, die konkreten Gründe für die Rückforderung und die individuelle finanzielle Situation des betroffenen Unternehmens.

Werden die Rückforderungsbescheide nicht angefochten, muss die Rückzahlung erfolgen. Unterbleibt sie, kann die Behörde die Rückforderung im Wege des Verwaltungszwangs eintreiben - notfalls auch im Wege der Vollstreckung.

Unternehmen, die von Rückforderungen bedroht sind, die ihre Existenz gefährden, könnten in die Gefahr der Insolvenz geraten. Das bedeutet Druck für die Geschäftsführung, die zur Vermeidung einer Verantwortung wegen Insolvenzverschleppung gegebenenfalls schnell handeln muss.

In einigen Fällen können die Rückforderungen auch strafrechtliche Folgen haben. Wenn die Bewilligungsstellen zu dem Schluss kommen, dass die Unternehmen die Überbrückungshilfen durch falsche Angaben oder Betrug erlangt haben, können sie Strafanzeige erstatten. Dies kann zu strafrechtlichen Ermittlungen, Verfahren und möglicherweise zu Strafen führen.

Für prüfende Dritte kann sich die Frage stellen, ob sie von Unternehmen oder deren Insolvenzverwaltern auch in Haftung genommen werden - insbesondere dann, wenn die Nerven blank liegen und das Unternehmen in der Existenz gefährdet ist. Solche Fälle erleben wir bereits. Daher sollten auch prüfende Dritte ihren Mandanten raten, gegen Rückforderungen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

All diese Folgen sollten betroffene Unternehmen und deren prüfende Dritte einkalkulieren, wenn der Rückforderungsbescheid kommt – und gerade auch deswegen ernsthaft in Erwägung ziehen, gegen diesen rechtlich vorzugehen.

Rechtsschutz

Gegen Rückforderungsbescheide gibt es für betroffene Unternehmen verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten.

In einigen Bundesländern gibt es noch das außergerichtliche Widerspruchsverfahren, also die Möglichkeit, bei der Bewilligungsstelle selbst Widerspruch zu erheben (so zum Beispiel in Hamburg oder Schleswig-Holstein). Dabei handelt es sich um eine dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltete Überprüfungsmöglichkeit. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens kann das Unternehmen unter anderem argumentieren, dass die Rückforderung gegen das Prinzip des Vertrauensschutzes verstößt oder dass die Rückforderung unverhältnismäßig ist.

Wenn das Widerspruchsverfahren nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt, kann das Unternehmen gerichtlichen Rechtsschutz suchen. Es kann Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht einreichen und die Gerichte um eine Überprüfung der Rückforderungsentscheidung bitten. In Bundesländern, in denen das Widerspruchsverfahren gesetzlich abgeschafft wurde, ist gleich Klage zu erheben (zum Beispiel in Bayern oder Hessen).

Die gerichtliche Überprüfung bietet den Unternehmen die Möglichkeit, ihre rechtlichen Argumente und Beweise vorzulegen und eine unabhängige Überprüfung der Rückforderungsentscheidung zu erhalten. Die Gerichte können die Rückforderungsentscheidung aufheben, wenn sie rechtswidrig ist, oder die Bewilligungsstelle anweisen, die Entscheidung zu ändern oder zu ergänzen.

Widerspruch und Klage haben nach § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufschiebende Wirkung. Für die Dauer eines Widerspruchs- und Klageverfahrens müssen Unternehmen keine Rückzahlung vornehmen.

Schlussfolgerung

Die Rückforderung der Corona-Überbrückungshilfen stellt ein komplexes und umstrittenes Thema dar, das erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Herausforderungen für die betroffenen Unternehmen mit sich bringt. Es ist wichtig, dass die Bewilligungsstellen bei der Durchführung der Rückforderungen das Prinzip des Vertrauensschutzes und die Interessen der Unternehmen berücksichtigen und einen fairen und ausgewogenen Ansatz verfolgen.

Für die betroffenen Unternehmen ist es wichtig, sich rechtlich beraten zu lassen und ihre Rechte und Optionen sorgfältig zu prüfen. Es gibt eine Reihe von rechtlichen Schutzmechanismen, die es den Unternehmen ermöglichen können, ihre Rechte zu wahren und sich gegen ungerechte oder unverhältnismäßige Rückforderungen zur Wehr zu setzen.

Schließlich sollte die Rückforderung der Corona-Überbrückungshilfen als eine Lektion für die Zukunft dienen. Sie unterstreicht die Bedeutung einer klaren und verlässlichen Kommunikation zwischen der Regierung und den Unternehmen und die Notwendigkeit, die Rechte und Interessen der Unternehmen in Zeiten der Krise angemessen zu schützen. In der Zukunft sollten ähnliche Situationen durch eine sorgfältige Planung und Berücksichtigung der potenziellen Auswirkungen von Anfang an vermieden werden.

Überbrückungshilfe-Netzwerk

Die Autoren laden Sie ein, "Überbrückungshilfe - Das Netzwerk" beizutreten, eine kostenlose Plattform, die von Rechtsanwalt Dennis Hillemann für einen bundesweiten Austausch über Überbrückungshilfen, Widerspruchs- und Klageverfahren gegründet wurde. Schließen Sie sich dem Netzwerk unter

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Über die Autor*innen:

RA Dennis Hillemann RAin Tanja Ehls Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher (www.fieldfisher.com). Tanja Ehls arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von Fieldfisher. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.

Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 19.10.2023, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.