29.11.2023 | FG Rheinland-Pfalz

Ernstliche Zweifel an Grundsteuerwertbescheiden

Das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bewertungsregeln des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts und deshalb in zwei Verfahren die Vollziehung von Grundsteuerwertbescheiden ausgesetzt.

Otto-Schmidt-Verlag
(Foto: © iStock.com/RonFullHD)

Dem ersten Streitfall lag eine Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 72 Quadratmetern zugrunde. Nach dem Vortrag der Antragstellerin sei das Haus im Jahr 1880 errichtet, seit Jahrzehnten unrenoviert und noch mit einer Einfachverglasung der Fenster versehen. Daher sei der gesetzlich normierte Mietwert pro Quadratmeter überhöht. Der Bodenrichtwert für das 351 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutachterausschuss mit 125 Euro pro Quadratmeter ermittelt worden. Das Finanzamt wandte dennoch den gesetzlich normierten Mietwert an und stellte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 1. Januar 2022 auf 91.600 Euro fest.

Der zweite Streitfall betraf eine Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 178 Quadratmetern zugrunde, das im Jahr 1977 bezugsfertig errichtet wurde. Der Bodenrichtwert für das 1.053 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutachterausschuss mit 300 Euro pro Quadratmeter ermittelt worden. Nach dem Vortrag der Antragsteller könne dieser Bodenwert jedoch nur mit einem Abschlag von 30 Prozent angewandt werden, weil ihr Grundstück aufgrund einer Bebauung in zweiter Reihe, der Grundstückserschließung nur durch einen Privatweg und wegen einer besonderen Hanglage nur eingeschränkt nutzbar sei. Das Finanzamt berücksichtigte den Bodenrichtwert gleichwohl 2/3 ohne Abschlag und stellte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 1. Januar 2022 auf 318.800 Euro fest.

Zum Hintergrund

Nach den Regelungen des Bewertungsgesetzes im sogenannten Bundesmodell der Grundsteuer, das in Rheinland-Pfalz und zehn weiteren Bundesländern Anwendung findet, wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab dem 1. Januar 2025 von den Gemeinden erhoben werden wird, ganz wesentlich durch die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1. Januar 2022 vorbestimmt. Diese Feststellung erfolgt durch eigenständige, sogenannte Grundlagenbescheide des Finanzamts, sodass Einwände gegen die Höhe der Bemessungsgrundlage der künftig erhobenen Grundsteuer insofern nur gegen diese Grundsteuerwertbescheide vorgebracht werden können.

Aussetzung der Vollziehung

Das FG setzte mit den beiden Eilbeschlüssen vom 23. November 2023 (Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23) die Vollziehung des gegenüber den Antragstellern ergangenen jeweiligen Grundsteuerwertbescheids aus, weil nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln bestünden. Hierdurch konnten Steuerpflichtige erstmals vor einem Finanzgericht mit ihren Einwänden gegen die Bewertung nach dem Bundesmodell durchdringen.

Einfachrechtliche Zweifel

Die einfachrechtlichen Zweifel des FG betrafen vor allem Zweifel daran, dass die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen seien. Zudem sah es das FG aus Rechtsgründen als geboten an, dass Steuerpflichtige – im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen – die Möglichkeit haben müssten, einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachweisen zu können.

Verfassungsrechtliche Zweifel

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bewertungsregelungen hatte das FG insbesondere im Hinblick auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes, der für das Bewertungsrecht ein Gebot der realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung begründe. So führe insbesondere die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen und eine nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände.

Stärkung der Rechtsschutzmöglichkeiten

In verfahrensrechtlicher Hinsicht stärkte das FG die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten für Steuerpflichtige, indem es – entgegen der Auffassung des Finanzamts, das für den Rechtsschutz bezüglich der Bodenrichtwerte die Verwaltungsgerichte als zuständig ansah – von einer umfassenden Eröffnung des Finanzrechtswegs ausgeht. Dies vermeidet für Steuerpflichtige eine zweifache Rechtsverfolgung in verschiedenen Gerichtszweigen.

Wichtig: Entscheidungen betreffen zwei Einzelfälle

Die Entscheidungen des FG betreffen zwei Einzelfälle, über die zudem erst im einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Die Aussetzung der Vollziehung der ergangenen Grundsteuerwertbescheide hat zwar zur Folge, dass auch die Vollziehung der in den Streitfällen künftig auf den 1. Januar 2025 zu erlassenden Grundsteuerbescheide von Gesetzes wegen ausgesetzt wird. Damit ist jedoch noch keine Aufhebung der angegriffenen Bescheide und erst Recht nicht eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln verbunden.

Das FG hat insbesondere wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.

(FG Rheinland-Pfalz / STB Web)