27.06.2024 | Fachartikel

Unwirksame Testamente können erbschaftsteuerlich anerkannt werden

Von RAin Susanne Christ, Fachanwältin für Steuerrecht

Im Hinblick auf § 41 AO kann ein zivilrechtlich unwirksames Testament unter bestimmten Voraussetzungen erbschaftsteuerlich anerkannt werden. Liegen diese Voraussetzungen eindeutig vor, ist die Finanzverwaltung in der Regel bereit, den Erwerb nach wirtschaftlichen Kriterien und nicht zivilrechtlich zuzurechnen. Dies kann deutliche finanzielle Auswirkungen haben. In der Praxis sind solche Fälle gar nicht so selten.

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Testamente müssen entweder handschriftlich verfasst oder notariell beurkundet werden, um wirksam zu sein. Aber es gibt auch noch andere Gründe, weshalb letztwillige Verfügungen von Todes wegen unwirksam sind, etwa, wenn die Erblasserin oder der Erblasser beim Verfassen des Testaments nicht mehr testierfähig war. In der Praxis gibt es allerdings immer wieder Fälle, in denen die Beteiligten die angeordneten Verfügungen trotz Unwirksamkeit erfüllen wollen.

Hier stellt sich die Frage, ob das Finanzamt dem auch erbschaftsteuerlich folgen muss oder ob es ausschließlich die zivilrechtlichen Folgen zu besteuern hat. Das hat einerseits Bedeutung für die Anwendung der persönlichen Freibeträge und Berücksichtigung etwaiger Vorschenkungen, aber auch für die Frage, wer die Erbschaftsteuer schuldet.

In der Praxis sind solche Fälle gar nicht so selten – und die gute Nachricht lautet: Im Hinblick auf § 41 AO ist auch eine unwirksame Verfügung von Todes wegen unter folgenden zwei Voraussetzungen erbschaftsteuerlich anzuerkennen:

  • die unwirksame Regelung entspricht dem Willen der verstorbenen Person und
  • die unwirksame Regelung wird entsprechend dem Willen der verstorbenen Person ausgeführt.

Regelung muss dem Willen der verstorbenen Person entsprechen

Die von den Beteiligten ausgeführten Verfügungen müssen vom Willen der verstorbenen Person gedeckt sein. Handelt es sich um ein schriftliches Testament, das lediglich nicht komplett handgeschrieben ist, lässt sich daraus auf den tatsächlichen Willen schließen. Schwieriger ist es, wenn der tatsächliche Wille lediglich mündlich geäußert wurde, etwa "XY soll einmal alles bekommen" und es dann nicht mehr zur wirksamen Errichtung eines Testaments gekommen ist. Der BFH lässt, wie u.a. seine Entscheidung vom 22.09.2010 (Az. II R 46/09) zeigt, auch mündliche Aussagen zu. Hier ist es allerdings schwieriger, dies nachzuweisen.

Achtung! Nicht anerkannt wird ein mutmaßlicher Wille, etwa, dass die verstorbene Person stets die Regelungen gewollt haben würde, die die geringste Erbschaftsteuer auslöst.

Unwirksame Verfügung muss ausgeführt werden

Voraussetzung für die tatsächliche Ausführung ist naturgemäß, dass die erblasserisch gedeckten Verfügungen von den Begünstigten und Belasteten anerkannt werden. Sowohl diejenigen, die bei Zugrundelegung der wirksamen Regelungen auf die Ausführung verzichten als auch diejenigen, die in unwirksamer Weise begünstigt wären, müssen die Umsetzung des wahren Willes der verstorbenen Person wollen.

Beispiel:

Erblasserin E, kinderlos, verstirbt kurz nach ihrem 70. Geburtstag unerwartet an einem Herzinfarkt. Ihren Geburtstag hatte sie im Kreis ihrer Familie gefeiert und dabei sehr deutlich gesagt, dass die Tochter ihres vorverstorbenen Ehemannes ihr gesamtes Vermögen erben soll, das Testament habe sie schon am Computer vorformuliert, sie wolle nur noch eine Freundin fragen, ob alles so richtig formuliert sei, dann würde sie es schreiben. Sie hat einen Bruder und eine Schwester. Ihr Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem Barvermögen mit einem Wert von 200.000 Euro.

Durch ihren Tod wurde sie von ihren beiden Geschwistern aufgrund gesetzlicher Erbfolge wirksam beerbt, da ein wirksames Testament nicht vorliegt; denn ein lediglich mündlich errichtetes Testament ist unwirksam. Trotzdem sind sich ihre Geschwister und die Stieftochter einig, dass die Stieftochter das Erbe erhalten soll. Aufgrund einer über den Tod hinaus reichenden Bankvollmacht wird das Barvermögen mit Einverständnis der Geschwister und Stieftochter auf das Bankkonto der Stieftochter überwiesen.

Hier sind die Beteiligten mit dem Willen der Erblasserin einverstanden und dieser wird auch so ausgeführt. Nach § 41 AO wird erbschaftsteuerlich die Stieftochter Erbin der Stiefmutter; auf sie entfällt ein persönlicher Freibetrag von 400.000 Euro, so dass sie keine Erbschaftsteuer zu zahlen hat. Wären die beiden Geschwister erbschaftsteuerlich als Erbende anzusehen, wäre ihnen jeweils ein persönlicher Freibetrag von lediglich 20.000 Euro gewährt worden, d.h., beide hätten für die jeweils verbleibenden 80.000 Euro Erbschaftsteuer geschuldet.

Dieses Ergebnis soll nach Auffassung des BFH auch gelten, wenn nicht alle am Erbfall Beteiligten sich einig sind. Wäre im obigen Fall nur einer der Geschwister, etwa der Bruder, damit einverstanden gewesen, dass die Stieftochter das Erbe der Stiefmutter erhält, und der Stieftochter dementsprechend lediglich 100.000 EUR überwiesen, würde auch dies erbschaftsteuerlich anzuerkennen sein. Dann wären die Stieftochter und die Schwester der Verstorbenen Erbschaftsteuerschuldner*innen für jeweils 100.000 EUR, nicht aber der Bruder, der den Willen der Verstorbenen trotz unwirksamer Verfügung anerkennt und es so auch ausgeführt wird.

Praxishinweise für die Steuerberatung

Würde das Erbschaftsteuerrecht stets zwingend den zivilrechtlichen Regelung folgen, könnte dies teuer werden. Denn dann würde im Beispielsfall zunächst zwingend ein Erwerb der Geschwister erfolgen, der der Erbschaftsteuer zu unterwerfen ist. Würden diese dann in Erfüllung des Willens der verstorbenen Person den Erwerb an die Stieftochter weiterleiten, würde das einen weiteren Erwerb – eine unentgeltliche Zuwendung (Schenkung) – darstellen, der schenkungsteuerpflichtig wäre. Um ein solches steuerlich teures Ergebnis zu vermeiden, sollte die Möglichkeit, einen solchen Vorgang nach § 41 AO wirtschaftlich und nicht zivilrechtlich zuordnen zu können, unbedingt genutzt werden.

Achtung! Ist unsicher, ob die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Zurechnung nach § 41 AO vorliegen, insbesondere, ob sich ein entsprechender Wille der verstorbenen Person nachweisen lässt, sollte dies unbedingt – auch um eine eigene Haftung zu vermeiden – mit der Mandantschaft nachweisbar besprochen werden.

Möglicherweise kann in diesem Zusammenhang auch eine verbindliche Auskunft beim Finanzamt, die kostenpflichtig ist, helfen. Voraussetzung ist, dass der Sachverhalt noch nicht verwirklicht sein darf. D.h., die Verfügungen, hier die Überweisung des Bankvermögens, dürfen noch nicht erfolgt sein.

Insbesondere dann ist eine sorgfältige Vorgehensweise erforderlich, wenn es Handlungsalternativen gibt, die ggf. genutzt würden, würde eine wirtschaftliche Zuordnung nach 41 AO abgelehnt werden. Im o.g. Fall könnte, wenn eine wirtschaftliche Zurechnung bei der Stieftochter nicht erfolgen kann, eine sukkzessive Weiterleitung von Barvermögen oder die Übertragung eines Teils des Barvermögens auf eventuell vorhandene Kinder und/oder einen Ehegatten der Stieftochter sinnvoll sein, um ggf. mehrfach den persönlichen Freibetrag von 20.000 Euro ausnutzen zu können.

Liegen die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Zurechnung nach § 41 AO eindeutig vor, ist die Finanzverwaltung, wie praktische Erfahrungen zeigen, in der Regel bereit, den Erwerb nach wirtschaftlichen Kriterien und nicht zivilrechtlich zuzurechnen.


Autorin:

Susanne ChristSusanne Christ ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht mit eigener Steuer-, Erb- und Wirtschaftskanzlei in Köln. Seit Juni 2023 ist sie Sprecherin des Erbrechtsausschusses beim Kölner Anwaltsverein. Daneben ist sie langjährige Fachautorin der Haufe Mediengruppe und bei STB Web sowie Dozentin in den Bereichen Einkommen-, Umsatz- und Erbschaftssteuer. Außerdem ist sie Mitautorin des Kommentars „Nachfolgebesteuerung“ (Schmid, Hrsg.), der seit 2019 im Nomos Verlag erscheint. E-Mail: s.christ@netcologne.de