29.08.2024 | Analyse und Kritik

Neuer Leitfaden zu Verbundunternehmen bei Corona-Überbrückungshilfen

Von RA Dennis Hillemann und RAin Tanja Ehls

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat am 29.07.2024 einen auf den 19.07.2024 datierten neuen Leitfaden zu Verbundunternehmen im Rahmen der Corona-Überbrückungshilfen veröffentlicht. Dieser sorgt für erhebliche Verunsicherung und wird bei vielen Unternehmen und Steuerberatern kurz vor der Frist zur Schlussabrechnung am 30.09.2024 für Hektik sorgen. Gleichzeitig bietet er aber auch Ansatzpunkte für eine rechtliche Argumentation zugunsten betroffener Unternehmen.

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Der neue Leitfaden dient als Ergänzung zu dem bereits im März 2021 veröffentlichten Leitfaden und soll einen Überblick über alle relevanten Hinweise zu Fallkonstellationen mit Bezug zu Verbundunternehmen geben, die in den letzten Jahren mit den Ländern und Bewilligungsstellen abgestimmt wurden. Dieser Beitrag gibt einen Überblick zum neuen Leitfaden sowie eine Analyse und Kritik hieran.

Überblick

Das Thema Unternehmensverbund ist nach wie vor ein Schwerpunktthema bei den Prüfungen der Bewilligungsstellen. Hintergrund ist, dass dies einer der wesentlichen Gründe gegen die Bewilligung der beantragten Fördermittel sein kann. Es wird sehr genau geprüft, ob mehrere Unternehmen als verbunden anzusehen sind. Besonders kritisch werden familiäre Verbindungen gesehen. Dies führt zum Teil zu immensen Rückforderungen bereits bewilligter Fördersummen.

Nach einer umfassenden Analyse kann festgestellt werden, dass der neue Leitfaden neue Unsicherheiten schafft und mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Gleichzeitig bietet er aber auch Ansatzpunkte für eine rechtliche Argumentation zugunsten der betroffenen Unternehmen.

Der Leitfaden gliedert sich in inhaltliche Hinweise (Familiäre Verflechtungen, Verbundbetrachtung bei Schaustellern, Fonds- und Beteiligungsgesellschaften, Einbeziehung von Verbundunternehmen in die Schlussabrechnung ohne eigene Überbrückungshilfe-Antrag in der Erstantragsphase) und in Verfahrenshinweise (Vorgehensweise bei der Konsolidierung von zu Unrecht gestellten Einzelanträgen in der Schlussabrechnung, Keine Entkonsolidierung in der Schlussabrechnung) in Bezug auf verbundene Unternehmen.

Kritische rechtliche Würdigung der einzelnen Punkte

Benachteiligung von Familienunternehmen

Besonders kritisch ist die offen kommunizierte Haltung des BMWK, Familienunternehmen in der Krise stärker zu belasten. Auf Seite 1 des Leitfadens wird explizit ausgeführt, dass Familien in Krisenzeiten enger zusammenstehen sollen und staatliche Unterstützung nur dann geboten ist, wenn sich die Familie nicht selbst helfen kann. Diese Sichtweise ist nach der Meinung der Autoren nach höchst problematisch. Deutschland verdankt seinen wirtschaftlichen Erfolg zu einem großen Teil seinen Familienunternehmen. Eine solche nachträgliche Benachteiligung in einer Wirtschaftskrise ist äußerst fragwürdig und mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar.

Das BMWK ist der Auffassung, dass derartige Schlussfolgerungen auch einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung standhalten und beruft sich dabei auf einen bisher unveröffentlichten Beschluss des OVG Mecklenburg-Vorpommern (AZ: 2 LZ 196/23 OVG). In diesem Beschluss war allerdings der Ehemann der Klägerin zugleich deren Prokurist, so dass eine gerichtliche Bestätigung der undifferenzierten Auffassung des BMWK nicht vorliegt. Zudem erging die Entscheidung ohne Auseinandersetzung mit diesem neuen Leitfaden, der Privilegierung von Schaustellerfamilien wie auch den vielen Argumenten, die die Autoren dieses Beitrags in anderen Verfahren vortragen.

Rechtliche Unklarheiten bei der Definition von Verbundunternehmen

Der Leitfaden setzt die Tradition schwammiger Formulierungen und unklarer Definitionen fort, die bereits aus den FAQs zu den Überbrückungshilfen bekannt sind. Bekannt ist, dass das BMWK die Bewilligungsstellen angewiesen hat, bei familiären Verbindungen zwischen Unternehmen "unwiderlegbar" von einem gemeinsamen Handeln auszugehen.

Besonders auffällig ist die Behandlung dieser "unwiderlegbaren Vermutung" eines gemeinsamen Handelns bei familiären Verbindungen im Leitfaden:

  • Das Wort "unwiderlegbar" taucht nicht mehr explizit auf, scheint aber implizit weiterhin Gültigkeit zu haben.
  • Es ist nun von einer "grundsätzlichen" Geltung für "enge Familienangehörige" bzw. einer "grundsätzlichen Schlussfolgerung" die Rede.
  • Gleichzeitig wird aber auf Seite 2 erwähnt, dass Raum für "atypische Fälle" bestehen muss ("Innerhalb einer Verwaltungspraxis muss auch Raum für die Berücksichtigung atypischer Fälle vorhanden sein, die eine abweichende Entscheidung erforderlich machen können.").

Diese Formulierungen lassen viel Interpretationsspielraum und werden in der Praxis zu erheblicher Verunsicherung führen - sowohl bei Bewilligungsstellen als auch bei Steuerberatern und Unternehmen. Es bleibt unklar, wann genau ein "atypischer Fall" vorliegt und wie die Widerlegung einer Vermutung in der Praxis aussehen soll.

Aus juristischer Sicht sehen die Autoren hier dennoch einen Ansatzpunkt für die Verteidigung betroffener Unternehmen. Die Aufweichung der bisher "unwiderlegbaren Vermutung" eröffnet Möglichkeiten, die Einzelfallumstände stärker in den Fokus zu rücken.

Problematik bei nachträglicher Annahme eines Verbunds

Besonders einschneidend dürfte für viele Unternehmen die Position des BMWK bezüglich nachträglich festgestellter Verbundunternehmen sein. Laut Leitfaden sollen Fixkosten von Unternehmen, die neu zu einem Verbund hinzugerechnet werden und bisher keine eigenen Anträge gestellt haben, nicht berücksichtigt werden können.

Diese Sichtweise wird mit EU-Beihilferecht begründet, was äußerst fragwürdig ist. Zum einen ist die Argumentation in sich nicht schlüssig, da für bestimmte Gebäudeaufwendungen Ausnahmen gemacht werden. Zum anderen ignoriert diese Sichtweise die Realität vieler Unternehmensstrukturen und führt zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung der betroffenen Unternehmen.

Unklare Regelungen bei Vermietungskonstellationen

Die Behandlung von Vermietungskonstellationen im Leitfaden ist äußerst vage und lässt kaum erkennen, in welche Richtung sich die Verwaltungspraxis entwickeln soll. Während viele Bewilligungsstellen bisher konsequent von einem Unternehmensverbund in Vermietungskonstellationen ausgingen, scheint das BMWK nun davon abzurücken.

Stattdessen soll nun offenbar zwischen wirtschaftlichem Schwerpunkt und privater Vermögensverwaltung unterschieden werden - eine Abgrenzung, die in der Praxis oft schwierig sein dürfte. Am Ende wird alles dem "Einzelfall" überlassen, was erneut zu Rechtsunsicherheit führt.

Klarstellung bei Mietzahlungen an Gesellschafter

Eine hilfreiche Konkretisierung findet sich bei der Behandlung von Mietzahlungen an Gesellschafter auf Seite 3. Hier orientiert sich die Frage nach dem Unternehmensverbund nun offenbar an den Mehrheitsverhältnissen. Dies kann in einigen Fällen zu einer günstigeren Beurteilung führen.

Nachträgliche Heilung mehrerer falsch gestellter Einzelanträge

Hilfreich kann für einige Unternehmen werden, dass das BMWK auf Seite 6 anordnet, dass bei Fällen, in denen nachträglich ein Unternehmensverbund angenommen wird und damit die Einzelanträge vorher eigentlich unzulässig gewesen wären, keine automatische Rückforderung erfolgen soll, sondern eine Heilung in der Schlussabrechnung möglich ist.

Die Autoren vertreten aber bundesweit Fälle, bei denen es diese automatische Rückforderung gab. Diese sahen die Bewilligungsstellen als zwingend geboten an.

Fonds und Beteiligungsgesellschaften

Für die Praxis sehr unangenehm dürfte ab Seite 5 die Klarstellung der Unternehmereigenschaft für Fonds und Beteiligungsgesellschaften sein. Das BMWK stellt klar, dass diese in der Regel als Unternehmen im Sinne der Überbrückungshilfen zu betrachten sind.

Die Autoren haben bei ihren Mandanten die Unternehmenseigenschaft von Fonds und Beteiligungsgesellschaften ohnehin schon stets in der Risikobewertung gehabt. Viele Rechtsanwälte und Steuerberater haben das in der Praxis anders gesehen. Die Problematik betrifft oftmals große Unternehmen mit internationalem Geschäft und könnte zu erheblichen Rückforderungen führen.

Schaustellerprivilegierung

Ein besonders strittiger Punkt ist die nun offen kommunizierte Privilegierung von Schaustellerbetrieben ab Seite 4. Im Falle von Schaustellern soll die "grundsätzliche Schlussfolgerung" für ein gemeinsames Handeln von Familienangehörigen (Unternehmensverbund) nicht gelten.

Diese Privilegierung wird nicht nur mit bestehenden steuerlichen Sonderregelungen (bspw. ermäßigter Umsatzsteuersatz gem. § 12 Absatz 2 Nr. 7 d UStG) begründet, sondern auch mit der angeblich besonders starken Betroffenheit der Branche durch die Pandemie.

Die Autoren halten diese Argumentation für äußerst fragwürdig und unfair gegenüber anderen stark betroffenen Branchen wie der Hotellerie, Gastronomie oder Veranstaltungswirtschaft. Es scheint, als hätte hier schlicht der Schaustellerverband eine bessere politische Lobbyarbeit geleistet als andere Branchenverbände.

Keine Entkonsolidierung in der Schlussabrechnung

Neu ist die Klarstellung auf Seite 10, dass Anträge, die fälschlicherweise bei Antragsstellung einen Unternehmensverbund angenommen haben in der Schlussabrechnung korrigiert werden können. Der Verbundantrag kann in einen Einzelantrag umgewidmet werden. Eine Entkonsolidierung, also die Überführung eines Verbundantrags in mehrere Einzelanträge ist jedoch nach Ansicht des BMWK aus beihilferechtlichen Gründen ausgeschlossen.

Fazit und Ausblick

Der neue Leitfaden des BMWK sorgt für erhebliche Verunsicherung und wird bei vielen Unternehmen und Steuerberatern kurz vor der Frist zur Schlussabrechnung am 30.9. für Hektik sorgen. Gleichzeitig bietet er aber auch Ansatzpunkte für eine rechtliche Argumentation zugunsten betroffener Unternehmen.

Besonders die Aufweichung der bisher "unwiderlegbaren Vermutung" eines Verbunds bei Familienunternehmen sowie die Möglichkeit zur Heilung bei nachträglich festgestellten Verbünden können in zukünftigen Fällen hilfreich sein.

Allgemein erscheint die derzeitige Prüfpraxis in vielen Fällen überzogen und nicht im Einklang mit dem ursprünglichen Zweck der Corona-Hilfen. Die Autoren sehen gute Chancen, in vielen Fällen erfolgreich gegen Ablehnungen oder Rückforderungen vorzugehen. Allerdings ist mit langwierigen Verfahren zu rechnen.


Über die Autor*innen:

RA Dennis Hillemann RAin Tanja Ehls Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher (www.fieldfisher.com). Tanja Ehls arbeitet als Rechtsanwältin im Fördermittelrecht und Verwaltungsprozessrecht im Frankfurter Büro von Fieldfisher. Sie beraten gemeinsam Unternehmen und deren Steuerberater*innen bundesweit zu Corona-Überbrückungshilfen, kennen die Praxis der Bewilligungsstellen und vertreten in zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren. Zudem erstellen Sie Gutachten und begleiten die Schlussabrechnungen.