29.09.2022 | Debatte

Ursula macht Ernst

Von Alexandra Buba

Während in Deutschland noch gestritten wird, ob und wo überhaupt Krisengewinne gemacht werden, ist die sogenannte Übergewinnsteuer in anderen Ländern bereits Realität. Allen voran eilt Spanien, das zeigt, wie die Besteuerung der sogenannten Zufallsgewinne, die auch die EU jetzt fordert, in der Praxis funktioniert.

Ursula von der Leyen bei ihrer Rede in Brüssel am 7. September 2022 (Foto: © Europäische Union)

Besonders rasch – schon vor einem Jahr – hatte die linke Regierung in Spanien klargestellt, dass durch eine Besteuerung von Krisengewinnen Milliardenbeträge in die gebeutelten Staatskassen fließen. Geld, das man ausgeben muss, um Härten abzufedern: für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, für die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern, für die Erhöhung der Niedrig-Renten und die Halbierung der Mehrwertsteuer auf Strom etwa. Das überzeugt – doch was ist überhaupt ein Normalgewinn? Und gibt es denn überhaupt Mehreinnahmen, ließe sich mit dem hiesigen Bundesfinanzminister fragen.

Tatsächlich scheint zumindest in Deutschland die Bemessungsgrundlage die Kernfrage zu sein, wenn es darum geht, übermäßige Gewinne, die durch die Energiekrise entstehen, zu besteuern. Dabei ist der Gedanke keineswegs neu: Schon vor einem Jahrhundert definierten die USA den Übergewinn schlicht als die Differenz zu den Gewinnen in den Vorkriegsjahren, als sie während des Ersten Weltkriegs zusätzliche Gewinne mit einer Steuerrate von bis zu 80 Prozent versahen. Auch während des Zweiten Weltkriegs galt eine solche Steuer mit unterschiedlichen Sätzen, und selbst in Friedenszeiten baten die USA Anfang der achtziger Jahre nach extremen Preissteigerungen die Ölkonzerne mit einer Sonderabgabe zur Kasse; Margret Thatcher handelte in Großbritannien übrigens ebenso.

Dass solche Sonderabgaben der Wirtschaft schaden, lässt sich mit Blick auf die Geschichte klar verneinen, deshalb tun sich die meisten Länder auch nicht sonderlich schwer damit, in der aktuellen Lage Übergewinne zu besteuern. In Großbritannien etwa gilt eine solche Regelung bereits seit diesem Mai: Öl- und Gaskonzerne müssen pauschal 25 Prozent mehr auf ihre Gewinne in 2022 bezahlen.

EU sieht verbindliche Besteuerung von "Zufallsgewinnen" vor

In den USA behindern nach Expertenansicht die im November anstehenden Halbzeitwahlen derzeit die Entscheidung für die erneute Einführung der auch jenseits des Atlantik von einer breiten Öffentlichkeit geforderten Sonderabgabe. In der Europäischen Union indes ist Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte September in die Offensive gegangen, als sie im Europaparlament einen Gesetzesvorschlag gegen die hohen Energiepreise ankündigte, der sowohl Stromproduzenten als auch Gas- und Ölkonzerne treffen wird. Laut Entwurf sollen letztere auf Gewinne des laufenden Jahres, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre lagen, eine Solidaritätsabgabe von 33 Prozent leisten.

Die Einnahmen, die der öffentlichen Hand auf diese Weise zufließen, sind beträchtlich: So ist die Rede von 140 Milliarden Euro, die zur Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher zur Verfügung stehen würden. Die EU-Vorschläge sollen verbindlich werden, basieren sie doch auf Diskussionen der europäischen Energieminister, die teilweise bereits eigene nationale Regelungen umgesetzt haben. Zuvor hatte bereits die deutsche linke Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgerechnet, dass eine Übergewinnsteuer dem Staat hierzulande bis zu 100 Milliarden einbringen könnte.

Immer mehr europäische Länder erheben bereits Sondersteuern

Die Schätzung der zusätzlichen Mittel in den europäischen Haushalten erscheint konservativ, wenn man sie mit den prognostizierten Steueraufkommen derjenigen Länder in Europa vergleicht, die bereits eine Übergewinnsteuer umgesetzt haben, wie etwa Italien. Die Regierung in Rom bezifferte den von der Steuer erfassten Übergewinn von Stromerzeugern sowie Gas- und Erdölkonzernen auf rund 39,8 Milliarden Euro, was bei einem Steuersatz von 25 Prozent zu einem geschätzten Steueraufkommen von rund 10 Milliarden Euro führen würde - wenn man ausschließlich von dem ursprünglichen Besteuerungszeitraum bis zum 31. März 2022 ausgeht.

Griechenland besteuert ausschließlich Stromerzeuger und wendet hierbei einen Steuersatz von 90 Prozent auf die Bemessungsgrundlage an, dementsprechend geringer sind die erwarteten Mehreinnahmen, beziffert etwa mit einer halben Milliarde Euro.

In Spanien indes ist die Berechnung der Abgabe weitaus komplizierter, denn dort ist der monatlich berechnete abgabepflichtige Betrag von verschiedenen Faktoren abhängig, die in die Berechnungsformel einfließen, nämlich von der Menge des produzierten Stroms, vom aktuellen durchschnittlichen Erdgaspreis, soweit er über 20 Euro pro MWh liegt, und von einem weiteren Faktor, der für die Internalisierung des Preises für Erdgas in die aktuellen Preise auf dem Strommarkt steht. Der so berechnete Wert wird mit dem Faktor 0,9 multipliziert. Daraus ergibt sich der Abzugsbetrag, der als übermäßiger Teil der Gesamteinnahmen gilt und abgeführt werden muss. Das berichtet der wissenschaftliche Dienst des Bundestages unter Berufung auf Berichte des "Handelsblatts".

Ausgearbeitete und bereits angepasste Regelung in Spanien

Die Abgabe sollte unabhängig davon fällig werden, ob der Hersteller den Strom über den Großhandel oder über langfristige Verträge verkaufe, also auch soweit Hersteller den Strom bereits aufgrund von Verträgen zu Festpreisen verkauft hatten. Später stellte die spanische Regierung klar, dass der Mechanismus nicht greift, wenn Strom nachweislich aufgrund eines Forward-Vertrages zu einem festen Preis außerhalb der eigenen Unternehmensgruppe verkauft wird.

Die spanische Regelung wurde außerdem im Frühjahr 2022 dahingehend modifiziert, dass Verkäufe mit festen Laufzeiten von mindestens einem Jahr und zu einem bestimmten Höchstpreis von der Regelung ausgenommen sind, und bei einem darüber liegenden Preis lediglich in Höhe der Differenz von dem Mechanismus erfasst sind.

Spanien hatte bereits im Herbst 2021 ein Gesetzespaket mit Sofortmaßnahmen gegen die Auswirkungen gestiegener Gaspreise auf die Verbrauchermärkte für Gas und Strom beschlossen und damit auch eine Regelung eingeführt, die die übermäßigen Einnahmen abschöpfen soll. Dadurch verfügt das Land bereits über wesentliche praktische Erfahrungen im europäischen Kontext. Auch Rumänien und Ungarn bitten Krisengewinnler bereits zur Kasse, während in anderen europäischen Ländern seit geraumer Zeit darüber diskutiert und gestritten wird; in Deutschland ist die Diskussion vor allem geprägt von einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung für eine solche Abgabe bei gleichzeitiger Blockadehaltung der FDP-Fraktion.

Europäischer Vorstoß öffnet Tür für Realpolitik

Der Vorstoß der EU-Kommission und die Ankündigung von Kommissions-Präsidentin von der Leyen haben zunächst für ein geteiltes Echo gesorgt, insbesondere die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien trommeln stark gegen das geplante Gesetz, da auch sie beteiligt werden - eben in ihrer Eigenschaft als Krisengewinnler, da auch sie in gleicher Weise wie die traditionellen Produzenten von den hohen Preisen profitieren.

Am Ende werden es die Details des europäischen Gesetzes sein, die darüber entscheiden, in welcher Geschwindigkeit die Mitgliedsstaaten entsprechende Regelungen einführen (müssen) und welche Erlöse für die Staatskassen daraus erwachsen. Für die deutsche FDP-Fraktion und den Bundesfinanzminister im Speziellen jedenfalls dürfte Ursula von der Leyen die Tür geöffnet haben, gesichtswahrend zur Realpolitik zurückzufinden.   


Autorin

Alexandra BubaAlexandra Buba ist freie Journalistin und spezialisiert auf die Themen der Steuerberatungsbranche (www.medientext.com). Sie schreibt regelmäßig für die STB Web-Redaktion.

 


Hinweis: Beachten Sie bitte das Datum dieses Artikels. Er stammt vom 29.09.2022, sodass die Inhalte ggf. nicht mehr dem aktuellsten (Rechts-) Stand entsprechen.